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Murat Çakır

Krise und Krise (I)

Heute werden die Abgeordneten im Parlament beeidigt. Nach dem die Abgeordneten ihren Eid auf die, von der Militärjunta eingesetzten antidemokratischen Verfassung geleistet haben, werden sie ihre »gewöhnliche« Arbeit aufnehmen. Wird das ein »Happy End« sein? Wenn es von einem westlichen Land, mit ihren scheinbaren Gewöhnlichkeiten die Rede gewesen wäre, wäre es nicht notwendig, das Wort »gewöhnlich« zu relativieren. Aber, die Türkei ist ein Land, das, fernab jeglicher bürgerlicher Demokratie, von einem militärischen Vormundschaftsregime beherrscht wird. Weil es alles, was eine gewöhnliche bürgerliche Demokratie ausmacht, fehlt, kann ich es kaum nachvollziehen, warum einige diesen Wahlen eine derartige »Symbolkraft« zusprechen.

Es stimmt; in dem neuen Parlament werden breite Teile der Wählerschaft vertreten. Dass die VertreterInnen von KurdInnen, die ihre Herkunft nicht verleugnen, auch im Parlament sind, ist keine zu vernachlässigende Tatsache. Und man kann auch durchaus davon sprechen, dass das Wahlergebnis, weil damit vorerst ein »Totaler Krieg« verhindert wurde, eine gut genutzte »letzte Chance« war. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass diese Wahlen weder demokratisch, noch gleich und gerecht waren. Ich meine damit nicht die als Ungültig erklärten 1,5 Millionen Stimmen oder die 6,7 Millionen WählerInnen, die nicht an den Wahlen teilnehmen konnten. Die Tatsache, dass die 10-Prozent-Hürde gültig war, die StaatsbürgerInnen im Ausland um ihr Wahlrecht gebracht wurden, die Armee einen bewaffneten Wahlkampf geführt hat, die gesetzlichen Behinderungen und vieles andere mehr haben eindeutig bewiesen, dass diese Wahlen weder demokratisch, noch gleich und gerecht waren.

Außerdem steht es fest, dass diese Wahlen die Krise des Landes nicht lösen können. Denn das militärische Vormundschaftsregime ist nicht Willens, die Legitimation einer von ihnen nicht kontrollierten Partei, auch wenn sie 80 Prozent Zustimmung erlangt, zu akzeptieren. Anstatt dessen wird weiterhin mit den, durch die Verfassung, ungezählte Gesetze und der Bürokratietraditionen ihnen gewährten Privilegien, versucht, den eigenen Willen durchzusetzen.

Was die gewählten Abgeordneten der DTP und der einzige Sozialist Ufuk Uras in dieser Situation »bewerkstelligen« können, müssen daher als einige Wenige der Schritte, die unternommen werden müssen, bewertet werden.

Meines Erachtens sind die gewählten Abgeordneten der »Tausend Hoffnungen« sowie sie tragenden politischen Kräfte zuallererst gehalten, die Wahlergebnisse kritisch-selbstkritisch und transparent zu analysieren und den Fragen nach zu gehen, warum das Ergebnis von 2002 (in absoluten Zahlen) nicht gehalten werden konnte sowie wo die wahren Ursachen für die große Zustimmung der AKP bei den kurdischen WählerInnen liegen. Die Tatsache, dass einige KandidatInnen nur mit wenigen Hundert fehlenden Stimmen nicht gewählt werden konnten und die große Niederlage in Konya kann meiner Meinung nach mit dem Argument »man habe sich nicht gründlich vorbereiten können« nicht erklärt werden.

Ich bin der Auffassung, dass die DTP – Abgeordneten einen fatalen Fehler machen würden, wenn sie der AKP weiter vertrauen. Es ist zu erwarten, dass sowohl die AKP, als auch das Regime bei einem kleinsten Interessenskonflikt die DTP – Gruppe abschießen werden. Daher wird es nicht nützen, wenn sich die DTP – Abgeordneten »einfügen«. Jedes mal wird ihre Loyalität zu ihrem Eid hinterfragt werden und jede Abweichung wird Angriffe provozieren.

In der Öffentlichkeit haben die DTP – Abgeordneten erklärt, dass im Parlament zur Lösung der Probleme beitragen wollen. Das ist zwar eine gut gemeinte Aussage, ist aber nichts anderes als Selbsttäuschung. Sie können sich so integrativ wie möglich verhalten, aber allein ihre bloße Anwesenheit wird zu Konflikten führen. Auch diesem Grund glaube ich, dass die einzig richtige Verhaltensweise im Parlament eine radikale Verhaltensweise sein muss. Nicht im Sinne des Extremismus, sondern im Sinne des Wortes Radikal: die Wurzeln der Probleme angreifend.

Die Krise des Landes kann nur dann, wenn diese Krise zu einer Krise des Regimes wird, also wenn für die Verankerung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gedrängt, ein breites gesellschaftliches Bündnis geschmiedet, jegliche politische, wirtschaftliche und bürokratische Privilegien der Neojungtürken gefordert, demokratische und friedliche Lösungswege in der Kurdenfrage aufgezeigt und für einen wirklich demokratischen Sozialstaat gerungen wird, zu einer echten Lösung zugeführt werden. In diesem Sinne hat die DTP – Fraktion eine große Verantwortung. Als ein Sozialist, der sich mit den KurdInnen ohne wenn und aber solidarisiert, aber jeglichen Nationalismus beharrlich ablehnt, kann ich der DTP in dieser Situation nur eines Empfehlen: Verzicht auf das »Recht, sich separat zu organisieren« und Schritte für die Gründung einer Dachorganisation, für ein breites gesellschaftliches Bündnis für Demokratie, Arbeit und Frieden, zu unternehmen.
(Wird fortgesetzt)

Am 4. August 2007 veröffentlicht in der Tageszeitung »Yeni Özgür Politika«

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