Israels Interesse an einem US-Krieg gegen Irak

Zur Rolle der Pro-Israel-Lobby und der US-Rüstungsindustrie im Irakkrieg und in der "Anti-Terror-Kampagne"

Nachfolgender Beitrag soll demnächst in den "Marxistischen Blättern" veröffentlicht werden (Titel "Israelische Kriegshetze"). Wir haben dem Text eigene (Zwischen-)Überschriften gegeben, die schweizerische Schreibweise (z.B. ss statt ß auch in den Fällen, in denen nach der neuen Rechtschreibung ß stehen bleibt) beibehalten.

Von Shraga Elam*

Es ist unschwer zu übersehen, dass die Gründe für den Irak-Krieg eher in Washington als in Bagdad zu suchen sind. Diese Erkenntnis ist so offensichtlich, dass sie auch die Mainstream-Medien überall thematisieren. Viel weniger indes wird über die Rolle Israels und der pro-israelischen US-Lobby bei der Kriegshetze und Kriegstreiberei diskutiert. Dabei muss dieses Thema - nicht zuletzt aus der Sicht der deutschen Anti-Kriegsbewegungen - ernsthaft in Betracht gezogen werden. Denn schon vor zwölf Jahren, also während des Zweiten Golfkriegs, als es in Deutschland die stärkste Antikriegsbewegung der Welt gab, wurde diese - durch die Mängel in der Vergangenheitsaufarbeitung - wegen der Israel-Diskussion erheblich geschwächt. Die irakischen Scud-Raketen-Angriffe auf Israel mit einem Potential des Einsatzes von chemischen Waffen verleiteten in Deutschland zu einfältigen, schrecklich vereinfachenden und a-historischen Schlussfolgerungen und Assoziationen: Juden + Gas = Auschwitz. Diese Konklusion wurde durch die Reaktion der israelischen Bevölkerung noch verstärkt. Denn Israel wurde während dieses Kriegs von den USA zu einer passiven Rolle gezwungen, und im Lande brach, in Folge der irakischen Attacken, eine unverhältnismässige Massenhysterie aus.(1)

Israel-Diskussion während des Golfkriegs 1991

Der Vergleich mit dem Nazi-Judeozid, welcher ansonsten so verpönt ist, wurde hier manipulativ eingesetzt. Dieser lag ganz offensichtlich jenseits der realen Verhältnisse. Als der damalige grüne Fraktionschef, Hans-Christian Ströbele, die Scud-Angriffe in den Zusammenhang mit der unmenschlichen israelischen Politik gegenüber den PalästinenserInnen brachte, entflammte eine heftige Diskussion in Deutschland. Bekannte Zionisten wie Henryk M. Broder, Dan Diner und Micha Brumlik bezeichneten diese Äusserung als anti-jüdisch.(2) Sie machten klar, dass Ströbeles (nicht so abwegige) Feststellung suggeriere, dass die jüdischen Menschen auch an Auschwitz selber schuld gewesen wären. Diese hirnrissige Behauptung seitens der pro-Israel-PropgandistInnen spaltete und schwächte die deutschen Anti-Kriegsbewegungen, die nun viel Energie in diese sinnlose Debatte investierten anstatt in Protestaktionen. Die Vorläufer der "Anti-Deutschen" profilierten sich in Konkret und in der taz. Man kann mit grosser Sicherheit vermuten, dass der Widerstand ohne Ströbele-Affäre in der BRD viel grösser gewesen wäre, als die Republik zur Kasse gebeten wurde und mit dem sogenannten Solidaritätsbeitrag von 18 Mrd. DM den Golfkrieg mitfinanzierte. Diese Gelder, zusammen mit dem gigantischen Kapitaltransfer der Petro-Dollar aus Deutschland Richtung USA, gehören zu den zentralen Gründen für die seither anhaltende Wirtschaftskrise, vor allem in den neuen Bundesländern.

Deutschland ist auch heute durch die "Auschwitz-Keule"(3) erpressbar. Es ist fast vorhersehbar, dass, falls Israel vom Irak angegriffen würde, der Druck auf die Bundesrepublik enorm wachsen würde, den Widerstand gegen den neuen Irak-Krieg aufzuheben. Ein klares Signal in diese Richtung gab es schon mit der deutschen Bereitschaft, Patriot-Abwehrraketen an Israel zu liefern. Dies war eine Wiederholung der gleichen Logik wie vor zwölf Jahren. Die deutsche Regierung "übersah" gerne, dass auch ein sogenanntes Abwehrsystem einer Aggression dienlich sein kann. Vor allem stellten sich die Sozialdemokraten und die Grünen blind gegenüber der deutlichen politischen Botschaft des israelischen Gesuches. Rein militärisch braucht Israel diese Waffen gar nicht, und laut einem israelischen Fernsehbericht reichte Jerusalem diese Bitte an Berlin auf Veranlassung Washingtons ein.(4) Denn der Bush-Administration liegt viel daran, den deutschen Widerstand gegen den Krieg zu brechen. Dabei bildet die NS-Vergangenheit eine deutsche Schwachstelle, die ausgenutzt werden soll. Israel schafft es immer wieder, in Deutschland seine Aggressorrolle in eine Opferpose umzuwandeln.(5)

Die deutsche Regierung signalisierte mit der Patriot-Lieferung eindeutig, dass ein eventueller irakischer Angriff gegen Israel die notwendige Ausrede liefern könnte, ihr Wahlversprechen nicht einzuhalten, von einer Unterstützung der US-Aggression gegen den Irak abzusehen.

Israels Rolle als Regional-Supermacht und Waffenproduzent

Bei der Irak-Kriegs-Vorbereitung und -Führung sowie bei der sog. Anti-Terror-Kampagne spielt Israel noch eine viel gewichtigere Rolle, als nur Deutschland zu beeinflussen. Seit dem militärischen Sieg von 1967 gewann Israel als Regional-Supermacht an strategischer Bedeutung für den US-Imperialismus, und zwar nicht nur im Nahen Osten, sondern weltweit. Die Zusammenarbeit zwischen dem US-amerikanischen und israelischen Militär-Industrie-Komplex (MIK) gewann an Bedeutung und in deren Folge boomte die israelische Wirtschaft. Israelische Waffenproduzenten und Waffenhändler belieferten im Auftrag Washingtons weltweit problematische Regime, um damit gesetzliche Bestimmungen in den USA zu umgehen.(6)

Nach dem Ende des Kalten Krieges verlor dieses israelische Tätigkeitsfeld etwas an Bedeutung, und zum Teil entstanden sogar gegensätzliche Interessen zwischen den US und israelischen Waffenindustrien. So spezialisierte sich der grösste israelische Waffenhersteller, Israel Aircraft Industries (IAI), beispielsweise auf das Upgrading alter Kampfflugzeuge. Diese Möglichkeit stellt eine günstigere Variante als der Kauf einer neuen Maschine dar, und selbstverständlich haben die US-Produzenten keine Freude daran. So deutet Einiges darauf hin, dass US-Geheimdienste 1996 ein israelisch-ukrainsches Upgrading von äthiopischen MIG-21-Kampfjets sabotierte und hinter einer spektakulären Entführung eines äthiopischen Passagier-Flugzeugs steckte. An Bord dieser Maschine waren hochrangige IAI-Manager und ukrainische Offiziere. Die Israelis kamen dabei um, und später gab die äthiopische Regierung zu, dass der Deal wegen dieser Entführung annulliert worden sei.(7)

Ein noch interessanteres Beispiel ist der riesige israelische Markt selbst. Da ein wesentlicher Teil der US militärischen Unterstützung für Israel seit Jahren in amerikanischen Waffensystemen und nicht in Geld erfolgt, bedeutet dies einerseits eine Subventionierung der US-Firmen durch die eigene Regierung, anderseits haben deshalb sogar qualitativ überlegene israelische Produkte keine Chance bei der eigenen Armee, weil sie, im Vergleich mit den US-Erzeugnissen, die sozusagen umsonst entstehen, zu teuer sind. Der israelischen Regierung hingegen bringt das selbstverständlich grosse Vorteile, denn dadurch gewinnt Israel die Unterstützung der mächtigen Rüstungslobby, die wiederum vom Einfluss der pro-Israel-Lobby zu profitieren weiss. Die israelische Militärindustrie versucht jeweils, diesen Nachteil durch eine Kooperation mit US-Firmen zu überwinden, was unter Umständen wiederum auch zu inter-amerikanischen Auseinandersetzungen führt. So strebt IAI bei der Produktion des Raketenabwehrsystems Arrow seit Jahren ein Joint Venture mit Boeing an. Dadurch sollte es für die israelische Flugwaffe möglich sein, die Anschaffung dieses Systems mit US-Geldern finanzieren zu lassen und IAI leichter die US-Bewilligung für den Arrow-Export bekommen. Diese Genehmigung ist nötig, weil die Arrow-Raketen US Komponenten beinhalten. Die IAI-Absicht stösst jedoch auf den heftigen Widerstand der US-Konkurrenten Raytheon und Lockheed Martin, die um ihre eigenen Produkte fürchten. Das Arrow-Projekt entstand nach dem Versagen 1991 der von Raytheon hergestellten Patriot- gegen die irakischen Scud-Raketen. Die Vereinigten Staaten unterstützten die Entwicklung des Arrow bis jetzt mit 2 Milliarden US-Dollar. Die IAI rechnet mit Auslandverkäufen im Wert von 600 bis 900 Mio. USD über die nächsten zehn Jahre. Abgesehen davon haben die Israelis offensichtlich auch den US-Markt im Visier, denn die Bush-Administration konnte als Folge des 11. Septembers mindesten 65 Mrd. Dollar für neue nationale Raketenabwehrsysteme locker machen. Im Kampf um diese riesigen Aufträge hat Arrow gewisse technische Vorteile, und der kommende Irak-Krieg sollte einen Wettkampf zwischen den Systemen in realen Verhältnissen ermöglichen. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass Boeing und IAI ein besonderes Interesse an einem baldigen Kriegseinsatz des Arrow zeigen. Bei einer Vorrunde am 5. Januar 2003 verbuchte Arrow bei einer Demonstration vor US-Vertretern in Israel einen Erfolg. Nun sind bald die Patriot-Raketen an der Reihe. Raytheon versucht entsprechend, den Boeing-IAI-Schulterschluss zu verhindern. Am 10.6.2002 schickte der Raytheon-Lobbyist Andrew Schnabel einen Rundbrief an Dutzende von parlamentarischen Beratern. Darin schrieb er, er sei zwar voller Verständnis, dass die USA Israel bei der Entwicklung des Arrow helfe. Stossend für Schnabel sei jedoch, dass mit US-Steuerngeldern Konkurrenz für amerikanische Unternehmen durch eine ausländische Firma geschaffen würde.(8)

Der Aufstieg Saddams mit US-Hilfe

Der Interessenkonflikt um das Arrow-Projekt zwischen IAI/Boeing und den anderen zwei Riesen der US-Waffenindustrie ist zwar kein Einzelfall, er darf aber nicht überbewertet werden. Denn in anderen Angelegenheiten verlaufen die Fronten immer wieder anders. Bei den Anti-Terror- und Anti-Irak-Kampagnen machen ohnehin die US-Rüstungslobby, Israel und dessen Lobby, die Neo-Konservativen und die christlichen Fundamentalisten gemeinsame Sache.

Die Ursprünge dieser Kampagnen liegen in der Mitte der 80er Jahre, als sich das Ende des Kalten Krieges abzeichnete. Das für die Waffenindustrie so wichtig Feindbild wurde dann in der arabischen bzw. islamischen Welt aufgebaut und gepflegt. In diesem Rahmen wurde Saddam Hussein finanziell und militärisch von US-Kreisen aufgebaut. An deren Spitze standen - wie die Akten der "Iraqgate"-Affäre zeigen - u.a. Henry Kissinger und Lawrence Eagleburger. Über die italienische Banca Nazionale del Lavoro (BNL) wurden die vom US-Kongress bewilligten landwirtschaftlichen Kredite im Wert von 5 Mrd. USD vom damaligen Präsidenten George Bush zur Finanzierung der militärischen Wiederaufrüstung des Iraks heimlich verwendet.(9) Bei den erfolgten Waffenlieferungen an den Irak beteiligten sich US, britische und deutsche Firmen. Es gibt auch einige Hinweise, dass israelische Geheimdienste in diese Geschäfte verwickelt gewesen seien.(10)

Mehrere Publikationen zeigen, wie der irakische Diktator zur Invasion Kuwaits (1990) gelockt und wie eine friedliche Beilegung dieser Krise durch die USA verhindert wurde.(11) Vom nachfolgenden Zweiten Golfkrieg (1991) profitierten nicht nur die Waffenproduzenten, sondern die Gesamt US-Wirtschaft. Durch die Bedrohung für die nahöstliche Erdöl-Versorgung konnten die USA die wirtschaftlichen Rivalen in Europa und Japan dazu zwingen, die Kriegskosten weitgehend zu übernehmen. Ihr ganz grosser Fischzug aber war der gigantische Transfer der Petrodollar im Wert von über 600 Mrd. USD aus Europa in die USA.

Durch die Ausnützung ihrer militärischen Überlegenheit wandten die Vereinigten Staaten die pessimistische Prognose des Historikers Paul Kennedy über ihren bevorstehenden Niedergang ab,(12) und es wurde damit die Phase des wirtschaftlichten Booms eingeleitet. Fast wie eine tragische Figur wirkt dabei der damalige Präsident George Bush, der nicht von seinem grossen Erfolg profitieren konnte. Es sieht so aus, als hätte er die Wahlen 1992 verloren, weil die Enthüllungen über seine Rolle in der "Iraqgate"-Affäre zu bedrohlich geworden seien. Clinton, der während der damaligen Wahlkampagne die Aufklärung dieses Skandals angekündigt hatte, bemühte sich nach seiner Wahl nicht um die Erfüllung seines Versprechens.

Augenfällig ist, dass bei den Bemühungen um die Aufklärung von "Iraqgate" sich eine zeitlang drei Journalisten profilierten: Alan Friedman, William Safire und Kenneth Timmerman, die zum rechten Flügel der Israel-Lobby gehören. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass es sich dabei um eine Racheaktion gegen Bush handelte, weil der damalige US-Präsident die Ausgabe der Golfkriegsdividende an Israel - in Form von Kreditgarantien im Wert von 10 Mrd. Dollar - mit dem Baustopp der Siedlungen in den seit 1967 von Israel besetzten Gebieten verknüpft hatte. Dies aber lehnte der israelische Premier Yitzhak Shamir völlig ab. Erst ihre Nachfolger, Bill Clinton und Yitzchak Rabin, fanden einen gangbaren Weg, wie die von Bush gestellte Bedingung zu erfüllen wäre, ohne dies jedoch richtig zu tun.

Diese US-Kreditgarantie ermöglichte Israel die wirtschaftliche Krise der 80er Jahre zu überwinden und leitete einen noch nie dagewesenen Wirtschaftsaufschwung ein. Für Israel spielten dabei auch einige glückliche Umstände mit: Es konnte mit diesen Geldern u.a. den High-Tech-Boom ausnützen. Ein anderer wichtiger Faktor war das Abkommen mit PLO-Chef Yassir Arafat welches 1993 in Oslo erreicht wurde. In der Folge des Golfkriegs stand Arafat vor dem finanziellen und politischen Bankrott und war deshalb für weitgehende Konzessionen bereit.

Weite Teile der israelischen Wirtschaft unterstützten das Oslo-Abkommen, weil sie dadurch und durch das nachfolgende Abkommen mit Jordanien, grosse Expansionsmöglichkeiten im arabischen Raum sahen. Diese Erwartungen haben sich zwar nicht ganz erfüllt, aber es eröffneten sich durch die Illusion eines israelisch-palästinensischen Friedens neue Märkte für israelische Produkte, und der Judenstaat wurde auch für ausländische Investoren sehr attraktiv. Von diesem Aufschwung profitierten aber nur einige bestimmte Schichten im Land. Die berühmte Einkommensschere öffnete sich ständig weiter, und immer mehr Menschen, die vom High-Tech-Boom nicht profitieren konnten oder die wegen der Produktionsverlagerung in arabische Staaten ihre Arbeitsstellen verloren, rutschten unter die Armutsgrenze. Durch den sehr dominanten Neo-Liberalismus wurde noch dazu massiv privatisiert und sehr viele soziale Einrichtungen geschwächt oder gar abgeschafft.

Sabotage des Oslo-Prozesses

Eine Gegnerschaft des Oslo-Prozesses entwickelte sich in Israel nicht nur in den Siedlerbewegungen, sondern auch in der Armee und bei einigen ihrer Lieferanten, welche sich, wegen der politischen Entspannung, u.a. von massiven Budgetkürzungen bedroht fühlten. Diese Kreise fanden Verbündete beim US- Militär-Industrie-Komplex, welcher sich ebenfalls durch die Militärbudgetkürzungen gefährdet sah. Denn während der Clinton-Ära sanken die Militärausgaben auf das tiefste Niveau seit den 30er Jahren.

Mit gemeinsamen Kräften wollten diese US-Amerikaner und Israelis die Bemühungen um die Entschärfung des militärischen Konflikts im Nahen Osten sabotieren und das Muster vom Feindbild in der arabischen bzw. islamischen Welt reaktivieren.

Diese US-Israelische Kooperation wurde erheblich dadurch begünstigt, dass immer mehr jüdische Hardliner in den USA wichtige Positionen inne haben. Obwohl häufig gegenüber jüdischen Beamten und Politikern der Vorwurf der Doppelloyalität erhoben wird, sehen vor allem die Scharfmacher unter ihnen keinen echten Widerspruch zwischen den israelischen und US Interessen. Einer dieser einflussreichen Juden ist Richard Perle, ein ehemaliger Pentagon-Mitarbeiter, heutiger Vorsitzender der bedeutenden Organisation Defense Policy Board und Mitglied anderer ähnlich gewichtiger Gremien. 1996 war Perle die treibende Kraft hinter einem Report,(13) der die folgenden Hauptempfehlungen für die israelische Politik machte: erstens den Oslo-Prozess zu stoppen und - zweitens - die neue Auflage des "Kriegs der Sterne" - des kostspieligen US-Projekts für Raketenabwehr-Systeme - zu unterstützen.

Perle und die Koautoren dieses Berichts argumentierten, dass die von der israelischen Arbeiterpartei propagierte Vision des "Neuen Nahostens" die Legitimität der jüdischen Nation untergrabe und Israel in eine gefährliche strategische Lähmung führe.

Die Zerstörung des Entspannungsprozesses im westlichen Asien sollte dem US-Raketenabwehr-Projekt auf zwei Weisen nützlich sein:

· Eine Gefahr, welche das Projekt rechtfertigen soll, wird durch Israel geschaffen und aufgebaut.

· Israel wird die gesamte zionistische Lobby für die Raketenabwehr mobilisieren können.

Israel sollte durch das Projekt grössere Sicherheit verliehen und umfangreiche Unterstützung der US-Rüstungslobby gewährt werden. Die Argumentation Perles überzeugte zumindest den damaligen Chef des israelischen Militärgeheimdiensts und heutigen Generalstabschef, Moshe Ya'alon, der kurz darauf einen Plan zur Zerstörung des Oslo-Prozesses entwarf. Der Massnahmenkatalog dieses Plans, bekannt unter dem Namen "Operation Dornenfeld", beschreibt in groben Zügen, was die israelische Armee gegenüber den Palästinensern seit September 2000 ausübt. Offen bleibt noch die darin erwähnte totale Beseitigung der palästinensischen Behörden und die Vertreibung der Palästinenser.(14)

In einer zweiteiligen Serie in der israelischen Zeitung Ma'ariv beschrieb der Journalist Ben Kaspit wie die israelische Armeeführung mit Hilfe von Kreisen der Polizei den jetzigen palästinensischen Aufstand auslöste. Israel ist eine Armee, die einen Staat besitzt, untertitelte Kaspit den ersten Teil der Serie.(15) Wer die Geschehnisse in diesem Land nah genug verfolgt, bekommt in der Tat schnell den Eindruck, dass die Militärführung die Politik gegenüber den Palästinensern diktiert. Sie kann zwar nicht beliebig die Massnahmen verschärfen, benutzt aber jede Möglichkeit, dies zu tun. Liefern die Palästinenser durch ihre verzweifelten, verwerflichen und kriminellen Selbstmordattentate nicht weiterhin die notwendigen Ausreden für eine israelische Eskalation, und zeichnen sich sogar gewisse gewaltlose Auswege ab, so sabotiert die israelische Armee die politischen Bemühungen.

Interessen der Hardliner in den USA

Der Sieg George W. Bushs in den Wahlen von 2000 stärkte Hardliner wie Richard Perle. Kurz vor diesen Wahlen formulierte der neo-konservative Think-Tank, "Project for the New American Century" (PNAC), zu deren Mitgliedern auch Perle gehört, was als heutige US-Aussen- und Militärpolitk betrachtet werden kann. In einem Papier legten die Verfasser die Hauptziele fest: Der Ausbau der US-Weltherrschaft durch Stationierung von Truppen in mehreren Regionen und die Beschaffung verschiedener moderner Waffensysteme. Dazu müsse eine sofortige massive Militärbudgeterhöhung erzielt werden, ansonsten drohe den USA der Untergang.(16)

Die Verfolgung solcher Ziele ist nicht nur im Sinn der "Star-War-", sondern der ganzen Rüstungslobby und hat Bedeutung für die Gesamtwirtschaft. Für eine Firma wie Boeing beispielsweise bringen solche Entwicklungen grosse Vorteile - auch in zivilen Bereichen. Denn im Rahmen der Globalisierungsregeln dürfen die Regierungen Unternehmen nicht subventionieren. Ausnahme bilden die Militärausgaben, und so kann die US-Regierung diese WTO-Bestimmungen umgehen, wenn sie Boeing in ihrem Konkurrenzkampf gegen die europäische Airbus Vorteile verschafft.

Infolge des 11. September wurde die Durchsetzung des PNAC-Plans, welcher auch einen Angriff gegen den Irak vorsieht, viel leichter gemacht. Auch die strategische Zusammenarbeit zwischen den USA und Israel wurde intensiviert.

Bei der Terrorbekämpfung besitzen die Israelis viel Erfahrung, Know how und auch technische Ausrüstung. Für die US-Aggression in Afghanistan spielte die Kooperation mit Israel nur eine marginale Rolle. Laut verschiedenen Quellen sollten die israelischen Erfahrungen, wie z.B. im Flüchtlingslager von Jenin (April 2002) als Übung für den Militäreinsatz in dicht besiedelten Gebieten gegen Islamisten der US-Armee in Afghanistan dienen.

Das israelische Interesse am Irak-Krieg

Beim Irak-Krieg ist die Situation, schon rein aus geo-politischen Gründen, sehr anders. Denn der Irak soll nicht nur ein Testfeld für Raketenabwehr-Systeme werden; die Bush-Administration strebt gewaltige Umwälzungen in der ganzen Region an. In Israel zeigen weite Teile der politischen Klasse grosses Interesse an diesem Krieg, dies, obwohl alle intelligenten Leute wissen, dass auch wenn Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt, diese keine Bedrohung für Israel darstellen. - Es sei denn, der Diktator wird an die Wand gedrückt.

Die breite israelische Befürwortung des Irak-Krieges beruht nicht zuletzt auf der dringenden Notwendigkeit einer grossen Finanzspritze für die israelische Wirtschaft. Denn nach zwei Jahren Intifada und der grossen Krise in der High-Tech-Industrie steht Israel vor dem ökonomischen Zusammenbruch. Die Aussichten, sehr rasch 12 Mrd. Dollar von den USA als Finanzhilfe zu bekommen, stehen offensichtlich im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg. Wird dieser Krieg verzögert oder sogar abgesagt, so reduzieren sich die israelischen Aussichten erheblich, diese bitter nötige ökonomische Unterstützung innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Diese Dringlichkeit ist vor allem für Ariel Sharon sehr akut, denn erhält er diese finanzielle Hilfe noch vor den Wahlen, erhöhen sich seine Gewinnchancen.

Obwohl den Israelis viele der grossen Gefahren, welche ein Irak-Krieg mit sich bringen kann, bewusst sind, gibt es erstaunlich wenig Widerstand dagegen. Szenarien wie der Einsatz von chemischen bzw. biologischen Waffen gegen die israelische Bevölkerung werden von Sharon-Gegnern lediglich als Panikmacherei betrachtet, um von den Korruptionsproblemen in seiner Partei abzulenken. Dabei muss realisiert werden, dass dieses Horrorszenario nicht so abwegig ist. Denn solche Angriffe mit Massenvernichtungssubstanzen müssen ja nicht unbedingt aus dem Irak kommen bzw. nicht mit Raketen transportiert werden. Wenn Israel, wie schon mehrmals beschrieben wurde, versuchen wird, den Irak-Krieg zu benutzen, um eine Massenvertreibung der Palästinenser zu vollziehen,(17) sind die Chancen sehr hoch, dass die palästinensischen Selbstmordattentäter versuchen könnten, chemische und biologische Waffen zu benutzen.

Die israelischen Machteliten - von den Rechtsradikalen bis hin zur Meretzpartei (im Friedenslager) - sind bereit, solche Risiken in Kauf zu nehmen und gefährden damit die eigene Bevölkerung. Es ist offensichtlich, dass ein starker israelischer Widerstand gegen den Irak-Krieg die US-Absichten stark beeinträchtigt hätte. Entsprechend wichtig ist es, die kleinen und konsequenten israelischen Friedensbewegungen in ihren Anti-Irak-Krieg-Bemühungen zu fördern und zu unterstützen!

Fußnoten

1. In Israel sind grössere Teile der Bevölkerung kriegserprobt, und bombardiert zu werden, gehört zur Kriegssituation. Aus militärischer Sicht wäre der Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen Israel durch Saddam Hussein mit einem Selbstmord gleichzusetzen. Für den irakischen Diktator galt, damals wie heute, biologische bzw. chemische Waffen nur als allerletzte Möglichkeit, wenn er nichts mehr zu verlieren hätte, zu verwenden. So weit kam es aber bekanntlicherweise gar nicht. Experten sind bis heute nicht davon überzeugt, dass die irakischen Raketen überhaupt eine solch vernichtende Nutzlast hätten transportieren können.

2. Interview mit Henryk M. Broder in der Süddeutschen Zeitung und Jerusalem Post vom 19. Februar 1991. S.a. Thomas Rothschild, Cui Bono ?, SEMITTIMES Oktober/November 1991.

3. Dieser Begriff wurde vom jüdischen Historiker Michael Wolffsohn im Rahmen der 1991-Diskussion geprägt.

4. Berliner Zeitung 28.11.2002

5. Der ehemalige israelische Premier Levi Eshkol nannte diese israelische Masche auf jiddisch "Schimschen, der Nebichdiker" (Samson, der übernatürlich starke biblische Held, posiert sich als Schwächling, als Nebich).

6. S. zum Beispiel Beniamin Beit-Hallahmi, Schmutzige Allianzen. Die geheimen Geschäfte Israels. München 1988

7. Diese Aussage der äthiopischen Regierung ist in der Ha'aretz vom 27.6.1997 zu finden. Der israelische Internet-Infodienst DEBKAfile wies am 30. November 2002auf eine Al-Qaeda-Täterschaft hin.

8. Global Security Newswire, July 10, 2002

9. Shraga Elam, Architektur der Spinnen - Drei Jahre nach Ausbruch des Golfkriegs: Wie es dazu kam, Die Wochenzeitung (WoZ); 14. Januar 1994

10. Saddam Hussein behauptete z.B. in einer Rede am 1. April 1990: Sowohl der britische und der amerikanische als auch der israelische Geheimdienst hätten im Verlaufe der letzten fünf bis sechs Jahre laufend versucht, dem Irak angereichertes Uran für den Bau einer Atombombe anzudrehen (BBC Summary of World Broadcasts, 4.4.1990).

11. S. z.B. Pierre Salinger und Eric Laurent, Krieg am Golf. Das Geheimdossier, Hanser, München 1991

12. Paul Kennedy, The Rise and Fall of the Great Powers: Economic Change and Military Conflict, Random House, New York ,1987

13. A Clean Break: A New Strategy for Securing the Realm, The Institute for Advanced Strategic and Political Studies' and "Study Group on a New Israeli Strategy Toward 2000", July 8, 1996.

14. Shraga Elam, Entweder "Frieden" mit Gewalt oder Zwangsumsiedlung, INPREKOR Januar 2001

15. Ben Kaspit, When the Intifada Erupted, it was finally clear to all: Israel is Not a State with an Army but an Army with a State, Ma'ariv 6. + 13. September 2002

16. REBUILDING AMERICA'S DEFENSES - Strategy, Forces and Resources For a New Century, A Report of The Project for the New American Century. September 2000.

17. Solche Szenarien schildert etwa der israelische Militärexperte Martin van Creveld in der Zeitung Die Welt vom 26. April 2002. Die sehr blutige Massenvertreibung könnte, nach van Creveld, auch im Rahmen des Kriegs gegen den Irak passieren. Über den Deportationshergang schreibt van Creveld: "Für die Vertreibung der Palästinenser braucht man nur einige Brigaden. Sie werden die Menschen nicht einzeln aus ihren Häusern schleppen, sondern schwere Artillerie einsetzen, damit sie von selbst weglaufen. Dschenin wird im Vergleich zu dieser Zerstörung wie ein Nadelstich aussehen." Laut der israelischen Wochenzeitung Makor Rishon vom 20.September 2002 werden solche Pläne auch von der Bush-Administration unterstützt.

* Shraga Elam ist israelischer Recherchierjournalist, Buchautor und Friedensaktivist in Zürich

Der vorliegende Aufsatz soll im nächsten Heft der Marxistischen Blätter (Sonderheft zum Irak-Konflikt) erscheinen, Anfang Februar 2003