"Humanistan all over the world"

Der Kriegsvorbereitungsdiskurs und die Moral

Von Sabine Schiffer*

Wenn ein Schurke ein armes, unschuldiges Opfer überfällt - zu wem halten Sie dann? Wenn ein selbstloser Held sich für die Befreiung des Opfers einsetzt - mit wem solidarisieren Sie sich? Die Eigenlogik dieser märchenhaften Konstellationen gebietet es uns, sich auf die Seite des moralisch integer Handelnden zu stellen. Also auf seiten der USA, als sie 1991 den Irak angriff, um das vergewaltigte Kuweit zu befreien. Diese Märchenmetaphorik konnte aufgrund der tatsächlichen Umstände effektiv eingesetzt werden, um vorab Akzeptanz für die folgenden Kriegshandlungen zu scahffen.

Solche Konzepte sind Metaphern, die die Eigenschaft haben, bestimmte Aspekte eines Sachverhalts zu betonen, andere gar auszublenden. Inwiefern Kuweit unschuldig war wurde ebensowenig veröffentlicht, wie die Frage, ob denn die Schauermärchen über die irakischen Soldaten wie etwa die Brutkastenstory stimmten - dies wissen inzwischen die, die es noch interessiert. Sie stimmten nicht. Solche Denkmetaphorik dient jedoch dazu, ein stimmiges Bild herzustellen - eines, das wir als Kinder schon assimiliert haben und das unsere Entscheidungen und Handlungen entsprechend und sicher lenkt.

Gerade heute sind allerdings andere Konzepte aktiv, um uns auf eine Kriegsnotwendigkeit einzustimmen - diese aber ebenso effektiv wie wirksam. Wer zweifelt noch daran, dass es im Irak Krieg geben werde? Bereits jetzt wird Hans Blix demontiert als "zu weich", "eventuell nicht geeignet für den Job" - ebenso wie sein Vorgänger Scott Ritter, der behauptet, dass es im Irak keine gefährlichen Waffen mehr gäbe und seither als "Überläufer" etikettiert wird. Vergegenwärtigen wir uns: Im Irak ist heute nichts anders als vor zwei Jahren - mit dem einzigen Unterschied, dass darüber geredet wird. Diese Deklaration zum Krisengebiet ist rein sprachlicher Natur. Dummerweise trägt auch dieser Beitrag dazu bei, die Thematisierung des Irak zu verstärken. Ein perpeto-mobile ist in Gang gekommen und jeder fühlt sich berufen, Stellung zu nehmen bzw. Informationen über Husseins Biographie, seine Giftgaseinsätze - von denen vor 15 Jahren, als sie passierten, niemand berichtete - u.v.m. beizutragen. All dies bedient Bushs Irak-Thematisierung. Das ist ein Dilemma, dem so leicht nicht zu entkommen ist und belegt, wie stark die Definitionsmacht der Mächtigen ist - auch die Gegner seiner Politik, wir alle orientieren uns daran. Die sogenannte Irak-Krise ist lediglich eine verbale und das Bedrohungsszenario konstruiert. Allerdings schwer für uns wieder heraus zu denken und sich vorzustellen, dass das ganze Gerede genauso über Nordkorea handeln könnte, Pakistan oder sonst ein Land.

Dieses sprachliche Konstrukt wird zudem durch Denkbilder gestützt. Hat uns denn nicht der Einsatz in Afghanistan deutlich gemacht, dass es sich lohnt, Krieg zu führen. Schließlich diente er neben der Terrorbekämpfung auch noch einem guten Zweck. Ohne wirklich etwas über die Zustände im Land zu wissen, glauben wir alle bereitwillig, dass es den Menschen dort nun besser gehe. Also heiligt der Zweck die Mittel?! Diesem Schluss liegt ein Vokabular zugrunde, das ein Kosten-Nutzen-Denken stüzt. Dieses Kosten-Nutzen-Kalkül dominiert inzwischen auch die Diskussion um einen Einsatz im Irak - dies bestätigen unter anderem jüngste Umfragen in den USA, die belegen, dass die Mehrzahl der befragten Amerikaner eine Bereitschaft zum Krieg dann haben, wenn gesichert ist, dass keine Gefahr für die eigenen Soldaten bestehe.

Durch die Pressebank können wir lesen, dass man die USA vielleicht dann eher unterstützen würde, wenn sie ein Konzept für den Irak nach Saddam Hussein hätten. Derlei Beispiele sind zahlreich. Fernsehsendungen von Weltspiegel über Aspekte bis Auslandsjournal zeigen die miserablen Zustände im Land und identifizieren diese als Mache des Diktators - schließlich hat er das UNO-Embargo verdient. All dies fördert unseren Wunsch, den armen Menschen im Land zu helfen. Somit wird vorab eine moralische Legitimation geschaffen für den Kriegsbefehl, denn Krieg ist Friedenssicherung, wie Kofi Annan vor dem deutschen Bundestag versicherte. Humanitäre Hilfe ist dabei das Legitimationszauberwort. Nur, wer kommt bei all dem Gerede über den Irak noch darzu hinzuschauen, wo auf der Welt, denn humanitäre Hilfe nötig wäre? Was ist mit Kriegen in Ruanda und Kongo, Lateinamerika, die ehemaligen Sowjetrepubliken, dem historischen Dauerkrieg in Israel-Palästina? All diese Menschen hätten Recht auf unsere Hilfe. Hier wird deutlich, wie zielgerichtet moralisch hochwertige Denkkonzepte eingesetzt und damit missbraucht werden.

Aufgrund der erlernten Eigenlogik dieser Denkmuster ist ein Durchschauen und ein Sich-Wehren dagegen besonders schwierig - man stößt an eigene moralische Tabus. Die lange kultivierten Muster schaffen Akzeptanz für den Einsatz von Waffen gegen Menschen - wohlgemerkt Menschen, was immer auch von chirurgischen Operationengegen Militäreinrichtungen behauptet wird. Allen voran der Clausewitz-Grundsatz vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Zu diesem dominierenden Konzept US-amerikanischer Regierungspolitik kommt noch das stark ausgeprägte Kosten-Nutzen-Denken hinzu, das einen rational-wirtschaftlich inspirierten Hintergrund hat. Rationalität verspricht Gewinnmaximierung, Irrationalität dagegen Verlust. Es erscheint rational einen Störfaktor zu eliminieren, damit der Handel florieren kann. Vor allem aber ist es nicht möglich, mit einem Irrationalen zu verhandeln. Das Böse im Märchen ist vielleicht gewieft, hintertrieben, clever, aber niemals rational und versteht nur die schwarz-weiß-Sprache des Stärkeren. Märchenfiguren sind immer eindeutig gut oder böse. Differenziertheit kommt nicht vor. Unsere Weltpolitik droht gerade solch einem Märchenmythos aufzusitzen.

Im Märchen ist das Gute wie das Böse immer personifiziert. Das kommt der amerikanischen Außenpolitik zugute, denn wie ließe sich Krieg des amerikanischen gegen das irakische Volk führen? Da wäre wohl niemand daran interessiert. Saddam Hussein aber als ein Politiker ist der Staat-Ersatz ist ein geeigneteres Feindbild. Außerdem hat eine Person einen unabänderlichen Charakter, mit dem man entsprechend umgehen muss. Der Vergleich mit Hitler und Stalin tut sein weiteres. Ganze Assoziationsketten setzen sich in Gang. Die Ökonomie dieser Sprachbilder wird weitestgehend unterschätzt. Hat uns die Geschichte nicht gelehrt, wie mit solchen Despoten zu verfahren ist?

Noch etwas hat sie uns gelehrt: Krieg gibt es dann, wenn bzw. solange eine Seite glaubt, gewinnen zu können. Dies wäre eine Gewinnmaximierung mit wenig Risiko bzw. lohnendem Einsatz - wer würde diese Aktie nicht kaufen? Genau diese Voraussetzungen sind aufgrund der militärischen wie medientechnischen Asymmetrie gegeben - anders als etwa bei der sogenannten Kuba-Krise. Im Falle eines Verlustes oder keiner optimalen Gewinnmaximierung stehen zudem bereits vorformulierte Interpretationskonzepte bereit. Unter Ausblendung des eigenen Dominanzverhaltens können die Anderen entsprechend einer sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung als fanatisch abgetan werden. Die Entmenschlichung des Gegenübers ist perfekt. Eine Bestätigung des eigenen Vorurteils wird kreiert. Die Spirale der Gewalt dreht durch.

Lesehinweise

Link, Jürgen In: Frankfurter Rundschau, 16.1.1991 "Der irre Saddam setzt seinen Krummdolch an meine Gurgel"

z.B. Kempf, Wilhelm (1994) (Hg.): Manipulierte Wirklichkeiten. Medienpsychologische Untersuchungen der bundesdeutschen Presseberichterstattung im Golfkrieg. Münster u.a.: LIT.

Hall, Stuart (1989): "Die strukturierte Vermittlung von Ereignissen." In: Räthzel, Nora (Hg.): Ausgewählte Schriften. (Argument) Hamburg: 126-149.

Die Zeit 14.11.02: 1 "Lauter letzte Tage für Saddam Hussein"

Lakoff, George (1991): "Metaphor and war. The Metaphor System to Justify War in the Gulf."In: Zeitung-Rundschau der FAU Erlangen.)

* Sabine Schiffer M.A., Medienpädagogik