Porträt

Der türkische Robin Hood Tayyip Erdogan, der Führer der islamischen APP, mobilisiert die Jugend.

Von Christiane Schlötzer

Zwischen alten Friedhöfen und der byzantinischen Stadtmauer erstreckt sich im Westen Istanbuls ein wüster leerer Platz, so groß, dass eine halbe Million Menschen bequem dort stehen kann.Nur Tayyip Erdogan, der wortgewaltige Chef der islamischen AKP, traute sich, auf diesem städtischem Brachland zur Kundgebung zu laden. Es wurde eine Demonstration der Stärke. „Danke, danke“, rief Erdogan seinen Anhängern zu, und die feierten den Mann, der ihnen eine „freie, reiche und starke Türkei“ verspricht. Am Sonntag werden sie seine Partei wählen, obwohl ihr Idol nicht Premier wird, selbst wenn seine AKP die absolute Mehrheit im Parlament bekommen sollte.Absurdes juristisches HickhackDer staatliche Wahlrat hat nach einem absurden juristischen Hickhack Erdogan die Kandidatur verboten. Seitdem sammelt der 48-Jährige, der sich bisher in der Rolle eines türkischen Robin Hood gefiel, der sich für die armen Bevölkerungsschichten einsetzt, nicht nur als Rächer Sympathien sondern auch als Opfer.Erdogan kommt wie die meisten seiner Wähler aus einfachsten Verhältnissen. Dies ist sein Kapital. „Eine ganz kleine Elite hat die Türkei ausgebeutet“, sagt Engin Ari, 46, der mit einem Textilgeschäft in der Wirtschaftskrise Pleite ging. Jetzt hört er Erdogan zu und glaubt, „die Wahlen werden wie ein Erdbeben“.Abdullah Uzun ist so alt wie Ari, aber er hat das Gesicht eines 60-Jährigen. „Die Leute sind hungrig“, sagt der Bauer, der den Südosten verließ, wo der Krieg zwischen rebellischen Kurden und der türkischen Armee das Land verwüstet hat. Gäbe es im Osten Arbeit, meint Uzun, „käme ich nur als Tourist nach Istanbul“. In den letzten Jahrzehnten ist das türkische Landvolk in die Städte gewandert. Erdogan repräsentiert die Zuwanderer, die Dörfler in der Stadt.Studieren mit KopftuchAls Istanbuler Bürgermeister ließ er Mitte der neunziger Jahre 180 Armenküchen errichten, verbesserte Stromversorgung und Straßen auch in den Slums. „Früher mussten wir jeden Tropfen Wasser in Flaschen kaufen, heute kann ich aus der Leitung trinken“, schwärmt ein junger Mann bei der Kundgebung, die ein Volksfest ist.Wer will, kann Luftballons steigen lassen, in den AKP-Farben Blau, Weiß und Gelb. Ballons in Grün, der Farbe des Islam, gibt es nicht. Auch der Redner vermeidet jede religiöse Referenz. Erdogan hat seine frühere Radikalität mit Gefängnis gebüßt. Heute vergleicht er seine Partei mit den Christdemokraten in der EU und will die Türkei nach Europa „tragen“. Eine Gruppe schäkernder Mädchen verteilt Anstecknadeln mit dem Emblem der AKP, einer Glühbirne. Einige tragen Kopftücher in bunten, wilden Farben. Dies ist religiöses und politisches Bekenntnis. „Wir wollen studieren“, sagt Hilal, 16. Kopftücher sind an türkischen Universitäten verboten. Erdogan soll das ändern. Auch Esra, 17, will das, obwohl sie ihren Pferdeschwanz nicht bedeckt. „Jeder soll leben, wie er will“, sagt Esra. Es wirkt, als könne der kemalistische Staat seine Verbote jungen Menschen immer weniger verständlich machen. Viele Parteien klagten im Wahlkampf über geringes Interesse der Jugend. Als Erdogan aber über den riesigen Platz ruft, nur Jugendliche sollten die Hände recken, blickt er auf ein Meer gespreizter Finger.(Süddeutsche Zeitung)

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