MEDIEN-KULTUR-SCHAU

Monika Carbe/Wolfgang Riemann (Hrsg.) Hundert Jahre Nazim Hikmet 1902 - 1963 Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich/New York 2002, 229 Seiten, 29,80 Euro

Nazim Hikmet, geboren 1902 in Saloniki, gestorben 1963 in Moskau, widmete die UNESCO das Jahr 2002.

Bereits im Januar 2002 jährte sich der Geburtstag Nazim Hikmet, der lebenslang Kommunist war und ein Viertel seines Lebens im Kerker, ein weiteres Viertel im Exil verbringen musste, zum hundertsten Mal. Das war Anlass, für einen Jubiläumsband, wie auf dessen letzten Umschlagseite vermerkt, "weder Hagiographie noch sentimentales Erinnerungsalbum". Ihn, nämlich den vorliegenden Band hätte dieses Blatt mit Sicherheit viel früher für eine Rezension berücksichtigen müssen. Erst vor kurzem aber hat es von dem Erscheinen in Kenntnis gesetzt.

Wie es auch immer zustande kam, das vorliegende Sammelwerk, das eigener Erwähnung nach "die Lebenslinien des Dichters knapp skizziert, dann aber die wichtigsten Aspekte seines Werks ... aus der Perspektive von Literaturwissenschaftlern und Schriftstellern" herausarbeitet, ruft beim ersten Blick den Eindruck hervor: Besser als nichts!

Verlebendigt werden seine Beiträger als "Türken und Deutsche dreier Generationen, die sich intensiv mit den Texten Nazim Hikmets befasst haben oder von seiner Epik, seiner Lyrik und seinen Theaterstücken wie von seiner Haltung dem Weltgeschehen gegenüber beeinflusst wurden." Sie hätten "hier ihre Erfahrungen mit dem Dichter, mit persönlichen wie mit Lektüre-Erlebnissen, zu Papier gebracht".

Von der "Grande Dame der Orientalistik", Professorin Annemarie Schimmel, bis hin zur jüngsten Beiträgerin, Karin Emine Yesilada. Und die anderen, ausschließlich aus der Begegnungsstätte unter dem Kennzeichen Groß-D: Barbara Frischmuth mit ihrer Interpretation des "Epos vom Scheich Bedreddin"; Gültekin Emre, der sich mit der lebenslangen Sehnsucht Nazim Hikmets befaßt; Ali Asker Barut mit seiner Ausführung über das Verbot von Hikmets Texten in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts; Zafer Senocak, der aufzeigt, welche poetischen Möglichkeiten Hikmets Texte in sich bergen, und Zukunftsvisionen, die von Berkan Karpat ergänzt und Karin Emine Yesilada ausgeführt werden; Habib Bektas, der ein Licht auf Nazims pädagogischen Impetus wirft; Nedim Gürsel, der das "Panorama der Vierziger Jahre" herausliest, indem er mit philologischer Akribie auf die Gestaltung der anatolischen Dorftypen eingeht, welche Gisela Krafts abgerundet wird; Wolfgang Riemann, der Nazim Hikmets Weg als Dramatiker chronologisch verfolgt; Zehra Ipsiroglu, die sich auf zwei Stücke des Dichters, "Ferhat und Schirin" sowie "Tartuffe ´59" einläßt; Sargut Sölcün, der dem autobiographischen Roman "Die Romantiker" auf die Spur kommt; Dietrich Gronau, der Last not least ausspricht, was zur Herausgabe dieses Bandes veranlasst hat: "Jahre-, wenn nicht jahrzehntelang waren kaum Bücher von Nazim Hikmet auf Deutsch zu finden, und wir hoffen, dass wir mit diesem Band Impulse geben können, dass sich in den deutschsprachigen Ländern wieder eine größere Öffentlichkeit mit dem Werk des Dichters befasst."

Selbstverständnis der beiden Herausgeber, Monika Carbe und Wolfgang Riemann, das jedoch nicht der Realität entspricht. Denn seit dem Startschuss der Marktnische "Integration" vor etwa einem Viertel Jahrhundert trat ein inflationärer Progress von Hikmet-Übertragungen ein - unter der pädagogischen Aufsicht der westdeutschen Sozialarbeiterschaft. Zuvor kam das deutschsprachige Publikum hinter dem "Eisernen Vorhang" zum Behagen seiner Dichtung, auch wenn im Bescheidenen, jedenfalls aufgrund auskömmlicher Übersetzungsarbeit.

Wenn der Dichter aus dem Orient im Geleitzug des Kommunismus mit Majakowski, Sikelianos, Aragon, Neruda, Ritsos u.a. im weit über hundert Millionen zählenden deutschen Sprachraum bisher nicht den gewünschten Widerhall fand, zumindest dem Anlass des UNESCO-Dedikation entsprechend (abgesehen von einigen Feuilletontönen), ist nicht zu beklagen, sondern höchstens bedauerlich, aber für die Menschenlandschaften der hiesigen Hochkultur. Schließlich bietet der Herold des unterprivilegierten Menschentums dem Publikum der kulturalistischen Selbstbeweihräucherung keinen Gebrauchsgegenstand für libidinös exotische Augenweide.

Die hier in die Höhe gebauten Bedenken haben keinesfalls im Sinn, dem wehmütigen Mühsal der Herausgeber die Anerkennung abzusprechen. Dahingestellt bleibt dabei, ob sie über die mentalen Vorgaben der inter-kulturalistischen Nischenwelt hinausgehend einen auflehnenden statt aufklärerischen Ausgang erzielen konnten - mit Weitblick auf das Morgen- und Sonnenland, statt sich in der Hoffnung zu wiegen, beim Abendländertum teutonischer Sektion um Lobhudelei für einen Reimeschmied des Kommunisten nachzusuchen.

Denn das vorliegende Werk erweckt emotional den Eindruck, ein Schrifttum für einen VHS-Lehrgang, für ein Germanisten-Orientalisten-Kolloquium oder ein evangelisches Akademie-Seminar zu präsentieren.

Gehören zu einem Jubiläumsband nicht chronologische Lebensbilder und ein paar Porträts des Jubilars? Oder ein eigenständiges Teilstück mit einer Auswahl aus seinem Gesamtopus? Was sich aber substantiell vermissen lässt, ist das Fehlen Nazims Wohlgefallen für ein erdmenschentümliches Ideal - über das in dieser Sammlung markierte nationale Terrain ("bedeutendster türkische Dichter der Gegenwart") hinaus. Wurden seine einzigartigen Dichtungen, die ihn auf der Weltebene zu dem machen, was er ist, einfach vergessen und unterlassen. Zum Beispiel: "Briefe an Taranta Babu", in denen er das verbrecherische Gesicht des italienischen Faschismus durch das Fenster der Dichtkunst zur Schau stellt. Der Epos "Warum beging Benerji Freitod?", in dem Nazim Hikmet dem Freiheitskampf des Indischen Subkontinents gegen den britischen Kolonialismus sprachmächtig unvergänglichen Platz in der Geschichtsarena verspricht. "Tansania-Reportage", mit der er seine Solidarität mit dem Schwarz-Afrika poetisch bekundet. "Havanna-Reportage", in der er seine Verbundenheit mit dem unbeugsamen Menschenschlag der Karibik in aller dichterischen Zartheit Ausdruck verleiht. Und schließlich jenes dem deutschen Kommunisten Ernst Thälmann gewidmete Essay "Deutscher Faschismus und Rassismus".

Trotz alledem: Es gilt, das Engagement der Herausgeber und Autoren zu artikulieren, diesen Band realisiert zu haben. "Karinca kaderince" - jeder nach seinem Vermögen, jeder nach Maßgabe seiner Kräfte.

Angelos Terakis

Prinzessin Isabeau Historischer Roman, übersetzt von Peter Henkel, Verlag Romiosini, Köln 2001, 550 Seiten, 29,- Euro

Wie bei allen historischen Romanen ist es auch hier bei der Lektüre des Buches von Vorteil, wenn man den geschichtlichen Hintergrund der Handlung kennt.

Wir befinden uns auf der von Franken besetzten Peloponnes, dem Fürstentum Achaia, gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Machtkämpfe um Vorherrschaften und diplomatische Schachzüge seitens Byzantinern, Franken, Venezianern und Genuesen bestimmen hier die politische Landschaft.

Trotz des Buchtitels ist die eigentliche Hauptfigur des Romans ein Edelmann griechischer Abstammung, Nikephoros Sguros, der ein Landgut in Nauplion beansprucht. Als er einmal von fränkischen Soldaten gesucht wird, muss er mit einer List aus Nauplion fliehen. Sein Weg führt nach dem byzantinischen Mystras, wo er seinen Onkel Sguromallis treffen und ihm den Ring seiner Mutter zeigen soll. Als er in einem Kloster übernachtet, erfährt er von einem Mönch etwas über Isabeau, der Tochter Wilhelm II. Villehardouins und Herrin über das Fürstentum Achaia, und ihren Gatten, Florentius von Hainot. Als er auf der Weiterreise in einer Herberge Unterkunft findet, wollen ihn fränkische Soldaten festnehmen, aber ein Ritter, Johannes von Tournay, kommt ihm zu Hilfe. "Er befindet sich nicht mehr im Gebiet von Anapli (Nauplion), sondern im Herrschaftsbereich der Prinzessin Isabeau".

Der griechische Edelmann Nikephoros Sguros aus Nauplion, der Ritter Johannes von Tournay und die Prinzessin Isabeau, die von beiden geliebt wird, sind die drei Hauptfiguren des Romans.

Sguros trifft auf seinen vermeintlichen Onkel Sguromallis, wird aber weggeschickt und abgeführt. Er wird verhört und wieder freigelassen, um als Kurier zu dienen. Auf seinem Weg sieht er Isabeau mit ihrem Gefolge.

Isabeau wird nach kurzer Jugendzeit in Achaia mit Philipp, dem Sohn Karl von Anjou, in Neapel vermählt. Die Verbindung hält aber nicht lange, da Philipp frühzeitig an einer Krankheit stirbt. Danach vermählt sich Isabeau mit Florentius von Hainot und kehrt nach Achaia in ihren Heimatort Andravida zurück. Einige Zeit später schickt sie ihr Gatte Florentius nach Kalamata.

Sguros kommt fast auf der ganzen Peloponnes herum, erlebt viel, kämpft einmal an Seite des Ritters Johannes von Tournay gegen den berüchtigten Korsar Deliuria, nachdem er vorher auf eine fränkische Jagdgesellschaft, in der sich auch Isabeau befindet, gestoßen und auf das Kastell von Kalamata mitgenommen worden war, wo er in ihre Dienste trat.

Dann wird er von Deliurias Leuten gefangen genommen und tritt in dessen Dienste. Als er nach einiger Zeit wiederkehrt, sieht er das Elend des einfachen griechischen Volkes und wird schließlich ein im Umland geachteter Rebell.

Der Ritter Johannes von Tournay ist zunächst eine geheimnisumwobene Gestalt - er ist in Kalavrita als Sohn des Edlen Geoffroy de Tournay geboren. Viel ist auch er herumgekommen, in Italien und Spanien, konnte einmal katalanischen Almogavaren entkommen und wurde von Gralsrittern auf der Burg Montsalvage aufgenommen, wo er dann zwei Jahre blieb, bis er wegen seiner Liebe zu Isabeau die Gralsburg verlassen musste. Er trat in Isabeaus Dienste in Kalamata. Als Sguros mit einfachen Leuten aus dem griechischen Volk das Kastell besetzt hatte - Prinzessin Isabeau befand sich mit den meisten fränkischen Edlen auf einem Tournier in Andravida - und dies in Andravida bekannt wurde, kehrten die Franken nach Kalamata zurück und die Rebellen wurden bei einem Ausbruchversuch aus dem Kastell geschlagen. Hier treffen Sguros und Tournay im Zweikampf aufeinander, wobei der Ritter schwer verwundet wird und später stirbt. Was den Roman so interessant macht, sind die von Terzakis dargestellten Charaktere von Isabeau, Sguros und Ritter Tournay. Isabeau ist die auf den fränkischen Burgen anfangs eingeschlossene, aber doch ein verwöhntes Leben führende, mitunter launische Prinzessin, die sich bis zuletzt beiden Männern als fast unnahbar zeigt und schließlich doch Sguros gegenüber ihre Liebe zugibt.

Sguros wird zu Anfang als wild und aufbrausend aufgezeigt. Obwohl er die Prinzessin liebt, lernt er sie doch hassen, da er sie für das Elend der einfachen Leute Achaias verantwortlich hält. Aber dennoch bittet er sie am Schluss, nachdem er ihr vom Tod des Ritters von Tournay berichtet hatte, mit ihm mitzukommen. Doch sie kann sich nicht von ihren gesellschaftlichen Bindungen lösen. Daraufhin erlöscht Sguros Liebe. Auch seine frühere, lebensbejahende Freundin Bianca folgt ihm nicht, da sie sich nicht von ihm geliebt fühlt und in ihrem Stolz verletzt ist. So wird Sguros letztendlich im Kampf gegen die Franken zum Volkshelden.

Als charakterlich nahezu unantastbar wird Ritter Johannes von Tournay dargestellt. Johannes von Tournay und Nikephoros Sguros treffen mehrmals aufeinander, bis auf eine Ausnahme begegnen sie sich ohne Hass, empfinden eine besondere Art von ritterlicher Fairness füreinander, was besonders spürbar wird, als Tournay im Beisein von Sguros an seinen Verletzungen stirbt. Hier erzählt der sterbende Ritter Sguros von seiner Liebe zur Prinzessin im Sinne einer ideellen Verehrung und dass er wegen dieser Liebe seinen Dienst bei den Gralsrittern verwirkt habe. Dieser Text ist meiner Meinung nach die schönste Stelle in vorliegendem Werk, denn hier scheiden zwei Gegner voneinander als Freunde, die im Schwertkampf, um es mal ostasiatisch auszudrücken, eins geworden sind.

Was das Buch ebenso lesenswert macht, sind die anderen, gleichfalls interessanten Akteure, so z.B. der hinterhältige Kommandant von Mistra, Sguromallis, der mit allen Wassern gewaschene genuesische Geldverleiher Kaphuris und der im Dienste des Korsaren Deliuria stehende "Rotschopf", der sich am Hofe Isabeaus als erlesener Sänger eingeschlichen hatte.

Einige kurze Dialoge im Text können den Leser auch zum Nachdenken anregen, wie zum Beispiel der Wortwechsel zwischen dem orthodoxen Priester Daniil und dem Schuster, der vor einem bevorstehenden Kampf mit fränkischen Soldaten Angst bekommen hatte, aber sich auf Zureden des Priesters dann doch noch entschlossen hatte, mitzukämpfen:

Der Priester: "Schuster, ich preise dich glücklich"

Der Schuster sieht den Geistlichen fassungslos an.

Der Priester: "Du wirst mehr geben als wir anderen, wir geben nur vom Überfluss, du aber gibst dein Letztes!

Wer mit Vorliebe historische Romane liest, die im Mittelalter angesiedelt sind, ist mit der spannenden und auch informativen Lektüre von Terzakis Werk gut beraten.

Jens Beucker

Angelos Terzakis (1907-1979) ist ein Vertreter der literarischen Generation von 1930, die sich von der traditionellen Thematik abwandte und seelische Zustände, gesellschaftliche und menschliche Probleme in das Zentrum ihres literarischen Schaffens stellte. 1938 schrieb er den historischen Roman Prinzessin Isabeau, der als sein bestes Prosawerk gilt. Er verfasste weitere Romane, Erzählungen sowie Essays und wirkte als Dramaturg am Athener Nationaltheater. Bis 1967 war er Direktor der Zeitschrift Epoches (Epochen), an der u.a. auch Seferis mitarbeitete. Als Literaturkritiker und Journalist betreute er das Feuilleton der griechischen Tageszeitung "To Vima". (Aus: Die Brücke)