Mission für einen militanten Islam?

Der Fall Christian Ganczarski

von Ahmet Şenyurt

„Ich brauche nur den Befehl. Vergiß nicht, für mich zu beten“ – Ein Abhörband zeichnete das vermutlich letzte Telefongespräch Nizar Ben Mohamed Nawars auf. Wenige Minuten später explodierte sein mit Gas beladener Transporter an der Außenmauer der La Ghriba Synagoge im Houmt Souk auf der Tunesischen Ferieninsel Djerba. Mit dem mutmaßlichen Selbstmord-Attentäter starben... Menschen in den Flammen. Der Mann, mit dem Nawar telefonierte, heißt Christian Ganczarski. Der als Christian G. bekannt gewordene Islam-Konvertit passt kaum in das polizeiliche Raster eines „islamistischen Terroristen“ und doch scheint er Teil eines international organisierten Terrornetzwerks zu sein. In seiner polizeilichen Vernehmung kurz nach dem Attentat von Djerba gab Christian Ganczarski an, er sei „in einem Lager in Afghanistan ausgebildet worden“. Im Winter 2003, kurz nach seiner erneuten Vernehmung, tauchte er plötzlich unter. Nun wurde er überraschend in Saudi Arabien verhaftet.

Der deutsche Staatsbürger Christian Ganczarski wurde 1966 im polnischen Gliwice geboren. Aufgewachsen ist er in Mülheim an der Ruhr. Als Kind sei er „stark religiös geprägt“ worden, gibt er in seiner Vernehmung zu Protokoll. Als er 20 war, trat er zum Islam über und war fortan in einer Mülheimer Moschee aktiv. 1992 kam dann die Zäsur: Ganczarski unterbrach seine Ausbildung als Schweißer, denn ihm wurde ein „Stipendium“ für ein Studium des Islam an der „Universität für islamische Wissenschaften“ im saudischen Medina angeboten. Was unter einer derartigen Ausbildung zu verstehen ist schildert Christian Ganczarski bei seiner Vernehmung wörtlich so: „Die Idee, die dahinter steht, ist, dass diese nichtarabischen Konvertiten an der Universität ausgebildet werden und den Islam vermittelt bekommen, um später in ihren Heimatländern den Islam für nichtarabische Muslime zu unterrichten und als Vorbild zu dienen.“ Das Studienangebot sei ihm 1991 in Mülheim von „einem Dr. Nadin ILLIAS“ gemacht worden, gibt er zu Protokoll. „Dr. ILLIAS“ sei „über den Vorstand der Moschee in Mülheim“ auf ihn zugekommen und habe ihn gefragt – so wörtlich - „ob ich an einer derartigen Ausbildung Interesse hätte“.

Nadeem Elyas, so der korrekte Name, war seinerzeit Mitglied im Vorstand der Aachener Bilal-Moschee. Seit Mitte der 90er Jahre steht er dem Spitzenverband „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ – ZMD – vor. In dieser Funktion ist er unter anderem der Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft verpflichtet. Der ZMD gilt als ein wichtiger Ansprechpartner für Kirchen, Gewerkschaften und Politik. Nadeem Elyas sagt, der Name Christian Ganczarski sei ihm unbekannt. Dass es derartige Kontaktaufnahmen, besonders mit jungen Konvertiten, in größerem Umfang gegeben hat, streitet er jedoch nicht ab – im Gegenteil:: „Es gab so viele Leute, die von den Moscheen woanders, nicht aus Aachen, aus der Umgebung, von ihren eigenen Moscheen angerufen wurden. Dann kamen diese Leute und haben direkten Kontakt mit der Delegation gehabt, ohne dass das Zentrum in Aachen oder ich persönlich dann diese Leute kennen lernen musste oder sie direkt persönlich angerufen hätte“.

Ganzarski jedenfalls ist begeistert von dem Angebot, an einer Universität zu studieren. Wörtlich sagte er bei seiner Vernehmung: „ich bin dann zu Dr. Nadin ILLIAS in die Moschee nach Aachen gegangen, als dort Professoren aus der Universität von Medina anwesend waren“. Ganczarski war nicht der einzige. Seiner Aussage zufolge scheint es Anfang der 90er Jahre eine groß angelegte Rekrutierungsaktion durch islamische Gelehrte in europäischen Ländern gegeben zu haben, wobei sich die saudischen Gelehrten anscheinend auch verschiedener arabischer Moscheen in Deutschland bedienten. Darauf angesprochen betont Nadeem Elyas, „die Gastgeberrolle“ der Moschee für „ausländische“ Delegationen sei eine Art „Dienstleistung“ unter Muslimen. Bei den Professoren habe es sich schließlich um „Repräsentanten renommierter islamischer Einrichtungen“ gehandelt. Damit spielt Elyas die Brisanz solcher Aktivitäten in den Moscheen erheblich herunter. „Delegationsreisen“ dieser Art müssen denn doch kritisch hinterfragt werden. Schließlich gelten die Absolventen der Universität von Medina – so ein Artikel in der DOI für das Deutsche Orient-Institut in Hamburg – als „Rekrutierungsreserve für Islamisten“. Der Autor dieses Artikels spricht von einem „großen Einfluss radikaler islamischer Gelehrten auf die saudischen Universitäten“.

Christian Ganczarski nahm jedenfalls das für ihn attraktive Angebot an und ging mit Familie nach Medina. Einen Schul- oder Ausbildungsabschluss hatte er nicht. Nach zwei Jahren musste er mit Frau und Kindern Saudi-Arabien wieder verlassen, denn seine Wohltäter wollten den Aufenthalt nicht länger finanzieren. Die Familie kehrte nach Mülheim zurück. Aber Ganczarski konnte sich in Deutschland nur schwer wieder zurecht finden. In den 90er Jahren zog es ihn mehrfach nach Tschetschenien, Afghanistan und Pakistan. Seinen Lebensunterhalt verdiente er damals mit dem Schmuggel von Edelsteinen. In einem Gästehaus in Afghanistan traf er, so seine Aussage, den mutmaßlichen Djerba-Attentäter Nawar. Verschiedenen weiteren Vernehmungsprotokollen ist aber zu entnehmen, dass Christian Ganczarski nicht der einzige war, der für ein Studium in Saudi-Arabien angeworben wurde. Daraus geht auch hervor, dass die Bilal-Moschee in Aachen für die gezielten saudischen Anwerbungen junger Konvertiten, die sich in den Dienst des Islam stellen wollten, eine nicht unwichtige Rolle spielte – jene Moschee also, der der aus Saudi-Arabien stammende deutsche Staatsbürger Dr. Nadeem Elyas seit Jahren eng verbunden ist.

Der Fall Ganczarski wirft auch die Frage auf, welche Qualifikationen für die Auswahl der Stipendiaten vorausgesetzt wurden. Schließlich hatte Ganczarskis Schullaufbahn in Deutschland nach der 7. Klasse Hauptschule geendet. Offenbar war dieser Gesichtspunkt nicht so wichtig. Der erfolglos abgebrochene Studienaufenthalt in Saudi-Arabien hatte für Christian Ganczarski freilich eine durchaus positive Komponente. Wie er zu Protokoll gab, hatte er an der Universität Medina sein großes religiöses Erweckungserlebnis. Dass er den entscheidenden Impuls in Richtung des religiösen Extremismus dort erhalten haben könnte, ist auch der Verdacht der Ermittler. Für Nadeem Elyas ist das undenkbar. Schließlich bestehe „diese Universität seit Jahrzehnten". Jedes Jahr würden Tausende von Leuten dort ausgebildet. Es sei nicht so, dass jeder Absolvent zu einem Terroristen werde. „Wenn der Werdegang eines solchen Studenten so miserabel ist, dann spricht das für diese Person, für die Qualität dieser Person und nicht für die Universität und nicht für die Moschee, wo so ein Treffen stattgefunden hat.“

Es steht außer Frage, das jeder Mensch selbst die Verantwortung für sein Schicksal trägt. Aber müsste nicht im Vorfeld der Rekrutierung eine Auswahl der potentiellen Bewerber stattgefunden haben? Sicherlich werden an der Islamischen Universität von Medina keine Terroristen ausgebildet, doch glaubt man westlichen Wissenschaftlern, so ist diese Einrichtung durchaus eine Kaderschmiede für eine radikale religiös-politische Weltanschauung.

Dass eine einflussreiche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in Deutschland, wie Dr. Nadeem Elyas, der seine Verbundenheit mit den Grundwerten unserer Gesellschaft stets hervorhebt, mit dazu beigetragen haben könnte, dass junge Männer aus Deutschland in Saudi-Arabien eine religiöse Ideologisierung erfuhren, muss zu denken geben. Es ist, wie gesagt, kaum davon auszugehen, dass in Medina Terroristen ausgebildet werden; sicher aber ist, dass die an der besagten Universität vermittelten Werte und Normen mit dem westlichen Verständnis von Demokratie und Menschenrechten wenig zu tun haben.

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