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Murat Çakır

Krise und Krise (2)

Vor zwei Wochen hatte ich meine Kolumne mit den Worten »... kann ich der DTP in dieser Situation nur eines Empfehlen: Verzicht auf das Recht, sich separat zu organisieren und Schritte für die Gründung einer Dachorganisation, für ein breites gesellschaftliches Bündnis für Demokratie, Arbeit und Frieden, zu unternehmen« beendet. Bezugnehmend auf die nackten gesellschaftlichen Tatsachen, die durch das Wahlergebnis vom 22. Juli wieder zu Tage gefördert wurden, möchte ich das weiter begründen.

Die Wahlen haben zwei Tatsachen unterstrichen: Erstens; wie sehr die türkische Gesellschaft – unabhängig ihrer ethnischen, religiösen oder klassenspezifischen Unterschiede – Konservativ ist und, zweitens, wie sehr die Gesellschaften pragmatisch handelnd. Auch die türkische Gesellschaft hat, aufgrund des Fehlens einer ernsthaften Transformationsmöglichkeit und einer starken linken Alternative, welche diese Möglichkeit auszunutzen weißt, pragmatisch gehandelt und sich den Parteien gewendet, von denen sie die Verbesserung der Lebensverhältnisse, also kurzfristig bessere und demokratische Bedingungen erhoffte. Meines Erachtens liegt genau hier einer der wesentlichen Gründe, warum die AKP in 72 von 81 Wahlkreisen die stärkste Partei wurde.

So gesehen kann durchaus behauptet werden, dass das auch der Grund dafür war, warum die »KandidatInnen der tausend Hoffnungen« hinter dem Ergebnis der Wahlen von 2002 geblieben sind und nahezu 75 Prozent der »kurdischen WählerInnen« Systemparteien gewählt haben.

Diese gesellschaftliche Realität zeigt auch, dass eine, innerhalb der kurdischen Bewegung weit verbreitete Auffassung im Grunde eine Fehlannahme ist: Die kurdische Gesellschaft ist keineswegs »eine klassen- und privilegienlose, homogene Masse«. Die kurdische Gesellschaft hat auch nicht, wie der Yeni Özgür Politika – Kolumnist Ahmet Kahraman behauptet, sich Seit an Seit zusammengeschlossen. Kahraman übt in seiner Kolumne »Welche türkische Linke?« zu Recht Kritik an der türkischen Linken und behauptet, die KurdInnen seien »aus allen Klassen und Schichten zusammengeschlossen«.

Seine Aussage, dass der Marxismus »keine Aktualität mehr habe« ist mehrfach widerlegt worden. Daher kann ich ihm nur empfehlen, sich die Klassiker nochmals durchzulesen. Aber seine Behauptung, dass die KurdInnen sich aus allen »Klassen und Schichten« zusammengeschlossen haben, entbehrt jeder Grundlage. Diese Aussage ist eine unwissenschaftliche Fehlannahme, ein Wunschdenken. Wenn diese Aussage zutreffend wäre, müsste man schlussfolgern, dass die einzige legitime kurdische Vertretung die AKP sei. Immerhin verfügt sie über mehr als 100 Abgeordnete kurdischer Herkunft.

Natürlich wäre das falsch. Genau wie es die kurdische Nationalbewegung es ist, die auf der Grundlage der Forderungen nach Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung, die Interessen der kurdischen Bevölkerung vertritt, ist es die Linke die wahre Interessenvertretung der Arbeiterbewegung. Dass die türkische Linke bei den Wahlen wenig Zuspruch gefunden hat, ändert nichts an der Tatsache, dass linke Forderungen richtig sind und der natürliche Bündnispartner der kurdischen Bewegung die Linke ist. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die Geschichte voller Beispiele ist, wie totgesagte oder als »Terroristen« gebrandmarkte Kräfte später die Regierungen stellten.

Hiervon ausgehend stelle ich die folgende These auf: Unter den heutigen Voraussetzungen der Türkei ist die Begründung der bürgerlichen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit im Interesse eines breiten Teils der Gesellschaft – unabhängig ihrer ethnischen, religiösen und klassenspezifischen Unterschieden. Um dies Verwirklichen zu können, ist es notwendig, das militärische Vormundschaftsregime zu überwinden. Diese Notwendigkeit kann nur ein breites gesellschaftliches Bündnis bewerkstelligen. Ein Bündnis aus türkischen wie kurdischen Beschäftigten, Handwerkern, klein- und mittelständischen UnternehmerInnen, Bauern, Intellektuellen, sozialen Bewegungen und sogar oppositionellen religiösen Kräften, die den türkischen Laizismus stets als Paternalismus verstanden haben.

Ein breites gesellschaftliches Bündnis für Frieden, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Die DTP – Fraktion und der sozialistische Abgeordnete Ufuk Uras müssen ihre parlamentarischen Möglichkeiten für die Gründung eines solchen Bündnisses nutzen. Eine Partei ist kein Selbstzweck, nur ein Mittel. Und weil der Zweck, also der Frieden, die Demokratie und Gleichberechtigung vorrangig ist, muss dieses Bündnis über ein Mittel verfügen, das parlamentarisch wie außerparlamentarisch einen wirkungsvollen sozialen und politischen Kampf führen kann. Ein solches Bündnis kann, als wählbare Alternative zu einer Regimekrise führen, das den Weg zur Demokratie eröffnen kann. Daher erwarte ich von der DTP, die aus dem Schoß der kurdischen Bewegung, einer Bewegung der Armen und Frauen geboren wurde, diese Verantwortung zu übernehmen.

(wird fortgeführt)

Am 18. August 2007 veröffentlicht in der Tageszeitung »Yeni Özgür Politika«

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