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Auf die Idee, eine bilinguale Zeitschrift herauszugeben, kam ich bei einem Gespräch mit einem guten Bekannten in Istanbul. Er war ein linker Schriftsteller und versuchte alles, was in der Welt unter den linken Intellektuellen diskutiert wurde, zu verfolgen. Aufgrund seiner hervorragenden Englischkenntnisse konnte er die Debatten im angelsächsischen Raum verfolgen, aber er monierte, dass er viel zu wenig über die Diskussionen in Deutschland erfuhr. Aufgrund seiner jahrelangen Inhaftierung als politischer Gefangener war es ihm nicht möglich, auch nach seiner Freilassung ins Ausland zu reisen. Eigentlich wollte er das auch nicht, oder besser gesagt, seine Hassliebe zu Istanbul ließ das nicht zu. Und seine schwere Krankheit tat das übrige.

Nun, um seinen Wissensdurst zu löschen besuchte er öfters FreundInnen aus Deutschland, wenn sie wieder mal auf »Heimaturlaub« waren. Doch das half ihm wenig, weil seine linksintellektuellen FreundInnen nur Interesse an der Entwicklung in der Türkei zeigten. Sie kannten die innerlinken Debatten in der Türkei und die übliche Fehden, wozu sie ja auch einiges dazu beitrugen. Doch wenn es um die gesellschaftspolitischen Fragen in Deutschland ging, stellte er fest, dass sie nicht über mehr Informationen verfügten, als er selbst. Seine FreundInnen lebten zwar körperlich in Deutschland, hatten sich aber geistig nie aus der Türkei heraus bewegt. Für ihn, der mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte, Informationen aufzusaugen, war das alles sehr befremdend.

In der Tat; noch heute sind sehr viele türkeistämmige Linke, obwohl inzwischen viele von ihnen eingebürgert sind, quasi mit den Füßen in Deutschland, aber mit dem Kopf noch in der Türkei. Natürlich spielen Ausgrenzungs- und Diskriminierungsmechanismen der Mehrheitsgesellschaft eine Rolle. Das ständige »Nichtdazugehörigkeitsgefühl« führt dazu, dass Menschen sich in ihnen bekannten Welten bewegen und sich dort sicherer fühlen. Und wenn man sich nur über türkische Tageszeitungen, Radio- und Fernsehsender informiert, überwiegt die eigene Sprache, somit die Interesse an den Geschehnissen im »eigenen Raum«.

Wie dem auch sei, mein Freund hatte mich auf den Gedanken gebracht, ein Medium zu schaffen, über den die Diskussionen der Linken in Deutschland türkeistämmigen InteressentInnen näher gebracht werden können. Immerhin war ich vom Beruf Übersetzer und hatte schon einige Beiträge für Zeitschriften in der Türkei übersetzt. Doch gleichzeitig stellte sich die Frage, dass es ja auch für Linke in Deutschland interessant sein könnte zu erfahren, was in der Türkei alles debattiert wird. Die Kurdenproblematik, Demokratisierung und Menschenrechte in der Türkei bewegten die deutschen Linken ja seit längerem.

So entwickelte sich der Gedanke weiter. Dass die Bilingualität gerade in dem Einwanderungsland Deutschland eine zusätzliche Qualifizierung sein kann und gefördert werden müsste, wurde seit langem von verschiedenen Selbstorganisationen der »ImmigrantInnen«, von denen ich einigen bis 2000 vorstand, gefordert. Nichts lag also näher dran, als wenn in Deutschland ansässige türkeistämmige Linke eine zweisprachige Zeitschrift herausbringen würden. Ein Printmedium kam aufgrund fehlender Finanzmittel nicht in Frage. So blieb nur eins übrig: ein Onlinemagazin. Mein Freund Faruk Beskisiz aus Köln und ich überlegten gemeinsam, wie so etwas auf die Beine gestellt werden könnte. Schreiben konnten wir beide – Faruk war bis zu seiner Verhaftung lange Jahre als Journalist beschäftigt -, doch weder er noch ich hatten jemals eine Website aufgebaut.

Unsere Überlegung, andere FreundInnen zu gewinnen, erwies sich leider als Flop. Entweder hatten sie keine Zeit – was nicht als Vorwurf aufgefasst werden sollte -, oder waren von einer zweisprachigen Zeitschrift nicht überzeugt. Wir aber waren der festen Überzeugung, dass so ein Magazin mehr als notwendig und machbar war. Also setzten wir uns hin und erarbeiteten sozusagen ein Konzept. Mit Mühe und Not brachten wir uns selbst bei, wie eine Website aufgebaut wird und begannen im September 2002 mit der Veröffentlichung.

Der Anspruch, alle Beiträge in Deutsch und Türkisch zu veröffentlichen, erwies sich als sehr schwer. So mussten wir unseren Anspruch herunterschrauben und machten aus der »Muss-Bestimmung« eine »möglichst Kann-Bestimmung«. Bis 2004 konnten wir die Seiten nahezu jeden Monat aktualisieren. Mit durchschnittlich 40.000 Seitenaufrufen im Monat war kozmopolit erfolgreicher, als es wir uns je vorgestellt hatten.

Im März 2004 jedoch schloss ich mich der Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit an. Von der Notwendigkeit einer wahlpolitischen Alternative war ich seit langem überzeugt. Die sich ergebenden Chancen begeisterten mich. So wurde ich Gründungs- und Vorstandsmitglied der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG). Im Juli 2004 gründeten wir den Verein WASG und am 22. Januar 2005 die Partei. Die Erfolgsgeschichte danach ist bekannt. Bis zu dem Bundesparteitag im April 2006 war ich aktiv dabei. Aufgrund meiner hauptamtlichen Tätigkeit in der Rosa-Luxemburg-Stiftung bin ich dann von meinem Amt als Mitglied des Bundesvorstandes zurückgetreten.

Von März 2004 bis Anfang Januar 2007 war es mir nicht möglich, die Internetseiten von kozmopolit zu aktualisieren. Aber die Idee eines zweisprachigen Magazins hat mich bis heute nicht in Ruhe gelassen. Also setzte ich mich wieder an meinem Laptop und begann die Seiten zu erneuern. Sie müssen wissen, dass die wöchentlichen Bahnfahrten von Berlin nach Kassel und zurück, die jeweils knapp drei Stunden dauern, sehr kurzweilig sein können – wenn man die Zeit wie ich dazu nutzt, eine Internetseite zu erneuern. Diese Bahnfahrten und meine feierabendliche Beschäftigung in Berlin ermöglichten mir nun die Seiten, so wie sie derzeit zu lesen sind, zu gestalten.

Sicher, es ist nichts professionelles und es hakt da oder dort. Und die Zweisprachigkeit ist auch noch nicht hundertprozentig umgesetzt worden. Aber es macht einen Heidenspaß, daran zu arbeiten und weiterzuentwickeln. Zum einen kann ich mit kozmopolit meine eigenen Beiträge und Übersetzungen einem breiten Publikum zugänglich machen und zum anderen habe ich das Gefühl, dazu beigetragen zu haben, dass vielleicht irgendwann eine informelle Brücke zwischen den Linken in Deutschland und der Türkei aufgebaut wird.

Vielleicht kann ich ja auch Andere dazu motivieren, etwas ähnliches auf die Beine zu stellen, oder (für mich) besser, an dem Projekt kozmopolit mitzuarbeiten. So oder so, das Projekt kozmopolit wird weitergehen. Es wäre für mich eine große Genugtuung, wenn kozmopolit für die Debatten der Linken auch nur einen kleinen Beitrag leisten würde.

In diesem Sinne, viel Spaß bei der Lektüre.

Murat Çakır

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