IM NAMEN ALLAHS

Islamischer Religionsunterricht: Mittel zum Zweck

Von Murat Çakır

Die Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht wird seit langem erhoben. Die Tatsache, dass inzwischen über drei Millionen Menschen, die sich zum Islam bekennen, in der Bundesrepublik leben (ein Teil von Ihnen sind deutsche Staatsangehörige) und die Berufung auf das Gleichbehandlungsprinzip sprechen für diese Forderung. Das Recht dieser Menschen auf die freie Religionsausübung und auf die seelsorgerische Betreuung sollte eigentlich in einem demokratischen Rechtsstaat eine Selbständigkeit sein. Genau wie der Aufbau und die Unterhaltung einer notwendigen Infrastruktur (wie Gebetshäuser, Seniorenheime, Friedhöfe etc.) zur freien Religionsausübung.

Obwohl die Mitglieder der als „militant einzustufenden“ islamistischen Organisationen mit rund 1,15% Anteil bei rund 3 Millionen Muslimen eine verschwindend kleine Minderheit ausmachen, wird der Öffentlichkeit suggeriert, dass der Islam und die Muslime in der Bundesrepublik eine akute Gefahr für unsere Demokratie seien.

Angesichts der Bilder über die Gräueltaten in Algerien, in Tschetschenien oder die Tyrannei der Taliban in Afghanistan ist die Angst vor dem islamistischen Fundamentalismus durchaus verständlich. Auch die Tatsache, dass islamistische Terrororganisationen für Anschläge wie am 11.September in den USA „nur“ eine Handvoll Freiwillige benötigen, verstärkt diese Ängste. Aber, muss man deswegen hinter jedem Moscheeverein eine extremistische Vereinigung und unter jedem Kopftuch eine verkappte Fundamentalistin vermuten?

In der Tat; es ist nicht einfach bei einer solchen emotionsgeladenen gesellschaftspolitischen Diskussion die Objektivität zu bewahren. Aber gerade bei den Fragen „Islam“ und islamischer Religionsunterricht ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Dabei müssen alle Zusammenhänge berücksichtigt werden. Die Problematik sollte weder verharmlost noch dramatisiert werden.

Es ist nicht sehr hilfreich, wenn es über „den Islam“ an sich diskutiert wird. Anstatt ihn als Weltreligion zu definieren und auf die Glaubenswelt der Muslime einzugehen, wird immer wieder der „islamische Fundamentalismus“ in den Vordergrund gestellt. Der islamische Fundamentalismus ist nicht Glaube, sondern Ideologie und die Politisierung von Religion. So sollte es auch behandelt werden. Wenn der Islam mit islamischen Fundamentalismus gleichgesetzt wird, wird dadurch das Bild verzerrt und sehr gezielt ein neues Feindbild produziert.

Dabei bedeutet „der Fundamentalismus“ nicht gleich „Islam“. Und „den Islam“ als solches hat es nie gegeben – wenn überhaupt, dann als die Summe all ihrer Facetten. Jeder Informierte weiß, dass es auch andere Fundamentalismen als Islamische gibt. So etwa der jüdische Fundamentalismus, welche den harten Kern der Siedlerbewegung ausmacht. Oder die protestantischen Fundamentalisten in den Vereinigten Staaten, die nicht davor zurückschrecken, Abtreibungsbefürworter bzw. Ärzte umzubringen.

Ferner muss berücksichtigt werden, dass sich fundamentalistische Gruppen in den islamischen Ländern zu Trägern einer breiten sozialen Protestbewegung entwickelt haben, die die Kritik an der modernen Gesellschaft des Kapitalismus – welches die Verarmung, den Zerfall der traditionellen Werte und die zunehmende Individualisierung verursacht – manifestieren und mit dem scheinbar gerechteren islamischen Alternative, den Platz der traditionellen Linken einnehmen. So konnten in einigen Ländern – wie kürzlich in der Türkei – die organisierten Islamisten sich als glaubwürdige politische Alternativen darstellen. Das ist ein hauptsächlicher Grund für ihren wachsenden Einfluss.

Ähnlich aber auch in der Bundesrepublik. Wobei hier die Tatsache ausschlaggebend ist, dass die staatliche Nichtintegration und auf Abschottung ausgerichtete „Ausländerpolitik“ zur Selbstisolation und zur Hinwendung zu islamistischen Organisationen geführt hat. Die Ausgrenzung bzw. Behandlung der ImmigrantInnen als Nichtdazugehörige ist ein wesentlicher Grund warum junge ImmigrantInnen islamistische Gruppen attraktiv finden. Weil sie auch dort unter Gleichen gleichbehandelt werden und so ihr Selbstbewusstsein stärken können. Aus diesem Grund wäre es nicht falsch zu behaupten, dass der wachsende Einfluss der islamistischen Gruppen in der Bundesrepublik mithin ein hausgemachtes Problem ist, welches in erster Linie durch die soziale Integration, d.h. durch die Akzeptanz und Behandlung als gleichberechtigte BürgerInnen, eben durch die Demokratisierung der Bundesrepublik konsequent bekämpft werden kann.

Gerade deshalb ist es notwendig, dass eine Grenze zwischen jenen Muslimen in der Bundesrepublik, die sich an den Grundlagen der Religion orientieren und denen, welche diese Grundlagen fundamentalistisch interpretieren, gezogen werden muss. Einfacher gesagt, als getan. Obwohl die Islamisten religiöse Symbole und Traditionsbestände ideologisiert und politisiert haben und mit dem Anspruch auftreten, die absolute Wahrheit zu besitzen, zeigen sie sich in der Bundesrepublik dialogbereit und nicht per se radikal. Sie stellen sich als Verfechter eines „richtigen“ Verfassungsverständnisses und fordern, dem allgemeinen Verfassungsverständnis widersprechend, eine uneingeschränkte Religionsfreiheit. Seit mehreren Jahren haben sie auch die Bedeutung von interethnischen Dach verbänden erkannt und sehe diese als ein geeignetes Forum, um ihre politischen Interessen gesellschaftsfähig zu machen und diese in die Öffentlichkeit weiter zu transportieren. Weiterhin erhoffen sie sich, durch solche Dachverbände gesellschaftliche Mitspracherechte und das positive Werturteil des deutschen Staates.

Dabei geht es ihnen nicht primär um die Unterweisung der muslimischen SchülerInnen in Islam. Der Religionsunterricht ist für sie nur der Türöffner, also Mittel zum Zweck. Deshalb haben die Islamisten auch nichts dagegen, wenn der islamische Religionsunterricht in deutscher Sprache und unter Aufsicht des jeweiligen Kultusministeriums der Länder erteilt werden soll. Ihr eigentliches Ziel ist es, den Weg für eine Anerkennung als öffentliche Körperschaft zu eröffnen. Wenn sie einmal in Zusammenhang mit dem Religionsunterricht den positiven Werturteil des Staates erhalten haben, wird es dann nicht mehr einfach sein, ihnen auch die weitergehenden Rechte – wie die der christlichen Kirchen – zu verweigern.

Welche (und wessen) Interessen spielen noch eine Rolle?

An Beispielen von Gerichtsurteilen könnte man dies verfolgen. Zum Beispiel das Urteil von Berlin, mit der der „Islamischen Föderation“, welche unmittelbar von der islamistischen IGMG (Islamische Gemeinschaft Millî Görüş) beeinflusst wird, das Recht zugesprochen wurde, in den Berliner Schulen islamischen Religionsunterricht zu geben.

Wenn man alle Zusammenhänge und die verfassungsrechtlichen Besonderheiten des Landes Berlin berücksichtigt, wird man feststellen, dass es wohl nicht nur formelle Gründe für dieses Urteil existieren. Es ist mehr als Suspekt, warum der “Föderation”, die ja bekanntlich seit den frühen achtiziger Jahren sich um eine Anerkennung bemühte, gerade in einer Zeit, in der Religionsunterricht in den Schulen als ganzes öffentlich hinterfragt und über deren Abschaffung diskutiert wurde, dieses Recht zugesprochen ist. Zweifellos war das für die Gegner des religionskundlichen Ethikunterrichts ein willkommene Unterstützung.

Die Rolle der Kirchen ist hier nicht zu übersehen. Sehen die Kirchen etwa bei den Islamisten einen neuen “natürlichen Bündnispartner”? Wer die Auseinandersetzung um den islamischen Religionsunterricht (nicht nur in Berlin) verfolgt hat, wird sich diesen Eindruck nicht verwehren können. In fast allen Bundesländern, in denen darüber diskutiert wird, treten Kirchenvertreter als Fürsprecher des islamischen Religionsunterrichts auf.

Natürlich möchte ich die Bemühungen der Kirchen für den interkulturellen und interreligiösen Dialog nicht schlecht reden. Aber die Kirchen müssen sich Fragen lassen, ob sie sich bewußt sind, auf welche Partner sie sich dabei einlassen. Ich bezweifle, dass diejenigen Dachverbände, die bekanntlich von der IGMG, vom Verband der Islamischen Kulturzentren VIKZ, der rechtsradikalen ATIB, der Islamischen Gemeinde in Deutschland oder von den Schüler Fetullah Gülens beeinflusst werden, die richtigen Partner für einen interreligiösen Dialog sind. Diese sind Teils nationalistisch und rassistisch, Teils fundamentalistisch und antisemitisch einzustufen und lassen sich nicht kontrollieren.

Daher sollten die Befürworter des islamischen Religionsunterrichts – gerade in den Kirchen – wissen, dass alleine mit dessen Einführung die fatalen Folgen der jahrelangen politischen Versäumnisse nicht ausgeräumt werden können. Nicht die Einführung des islamischen Religionsunterrichtes hat Priorität, sondern die überfällige Neustrukturierung unseres Bildungssystems. Auch die Schule muss der interkulturellen Realität entsprechen und unsere Einwanderungsgesellschaft wiederspiegeln.

Auch diejenigen, die hoffen, mit dem islamischen Religionsunterricht den Einfluss der Koranschulen brechen zu können, müssen wissen, dass sie sich irren. Denn ein schulischer Religionsunterricht ist aufgrund des Lehrinhaltes mit Koranschulen nicht zu vergleichen. Wenn das so einfach wäre, hätten beispielsweise die Koranschulen in der Türkei, wo Religionsunterricht seit langem Pflichtfach und Versetzungsrelevant ist, schon längst schließen müssen. In der Regel sind Koranschulen – auch in der Bundesrepublik – für Islamisten politische Instrumente, mit deren Hilfe der Nachwuchs rekrutiert wird. Darauf werden sie auch in der Zukunft nicht verzichten, ob mit oder ohne islamischen Religionsunterricht. Im Gegenteil, der islamische Religionsunterricht wird dazu genutzt werden, um noch mehr für die jeweiligen Koranschulen zu werben.

Wie dem auch sei, die Diskussion scheint noch nicht beendet zu sein.Es wird in erster Linie von der Demokratiefähigkeit der Bundesrepublik abhängen, wie dieses Problem gelöst wird. Wir werden sehen, ob zum Guten oder Bösen.

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