Die Massenbewegungen unterstützen die Kandidatur von Lula

Von Cristiano Morsolin, Streetworker und militanter Journalist und Alzeni Tomaz, 31 Jahre, Koordinatorin der Pastoralen Kommision für Boden, Mitarbeiterin von Don Francisco Astrogesilo de Mesquita Filho, einem Bischof, der wegen seines Engagements für die Landlosenbewegung um sein Leben bangen muss.

Übersetzung Roberto Greco, MST-Italia, Newsgroups

Am 6. Oktober wird das brasilianische Volk den neuen Präsidenten der Republik wählen. Zum vierten Mal kandidiert Ignacio Lula da Silva. Er ist ehemaliger Gewerkschafter, Opponent gegen die Militärdiktatur, Mitbegründer der Partei der Arbeiter, PT, im Jahre 1980, welche die Geschichte der arbeitenden Klassen in diesem großen lateinamerikanischen Land verändert hat.

Lula steht in den Umfragen an der Spitze, und dies dank der aktiven Unterstützung der Massenbewegungen. Die artukulierte sich in der ersten Septemberwoche als die Organisation Consulta Popular, die Dachorganisation der Bewegungen, zusammen mit der brasilianischen Bischofskonferenz CNBB, der Kommision „Gerechtigkeit und Frieden“, dem Einheitszentrum der Arbeiter CUT, der Landlosenbewegung MST, ein Plebiszit zur ALCA (Freihandelszone Amerika) organisierten. Das erbrachte ein klares, 10 Millionen mal abgegebenes Nein zur ökonomischen und kulturellen Kolonisierung durch die Vereinigten Staaten.

Lula hat einen bescheidenen Wahlkampf geführt (weswegen ihn die Landlosenbewegung Sem Terra kritisierte). Es sei dennoch an die dramatische Situation erinnert, welche diesen Riesen der Carioca peinigt. Brasilien hat, obwohl es die achte Wirtschaftsmacht der Welt ist, Auslandsschulden von 178.000 Millionen Dollar und außerdem eine erschreckende soziale Ungleichheit, die es auf den 70igsten Platz in der Klassifizierung der menschlichen Entwicklung stellt. 10% der reichsten Brasilianer kontrollieren 50% des Nationaleinkommens, während 50% der Ärmsten sich mit 11% davon begnügen müssen. Ein Fünftel der Bevölkerung leidet unter Hunger. Eine Agrarreform, die seit Jahrzehnten gefordert wird, ist eines der Schlüsselprobleme des neuen Präsidenten.

Dieses allgemeine Bild in Erwartung einer „historischen Wende“, wird uns von Alzeni Tomaz gezeichnet. Sie ist Koordinatorin der Pastoralen Kommision für Boden (CPT), Nordost 2 (der Bezirk umfasst 6 Föderalstaaten), aus deren Reihen die Landlosenbewegung MST geboren wurde. Sie ist Mitarbeiterin von Don Francisco Astrogesilo de Mesquita Filho (Bruderbischof von Don Helder Camara), der wegen seiner militanten Haltung in Verteidigung der Landlosen mit dem Tode bedroht wurde.

Ich kenne Alzenì seit 1990, als ich mich ins nordöstliche Sertao begab, 600 km von Receife, aus Anlass eines Meinungsaustausches zwischen der Jugendgemeinde der Diözese Vicenza (Italien) und der PJMP von der Diözese Afogados de Ingazeira.

Die Hartnäckigkeit und Leidenschaft für das Leben, welche die Militanz von Alzeni beseelen, erlauben die Kandidatur von Lula von der Basis aus zu interpretieren.

Ohne Angst glücklich sein

Der kommende 6. Oktober wird ein entscheidendes Datum für alle brasilianischen Bürgerinnen und Bürger sein. Und wir erwarten ihn mit Ungeduld. Es ist an der Zeit, zu wählen. Noch nie wie jetzt hängt die Zukunft des Landes davon ab wie wir wählen werden und jeder Wähler trägt dieses Gewicht der Verantwortung. Niemand zweifelt daran, dass die nächste Regierung entscheidende Veränderungen vornehmen muss. Das fordert die Realität. Brasilien muss einen Ausweg aus der Verschuldung finden, welche schon die öffentliche Administration stranguliert. Es wird nötig sein, den Weg der verträglichen Entwicklung wieder aufzunehmen, um das nationale ökonomische Wachstum zu kanalisieren. Nur so ist es möglich, der Gewalt Stirn zu bieten, die exponential anwächst, die Situation von Hunger und Elend zu überwinden, die eine stets anwachsende Anzahl Brasilianer peinigt.

Niemand wird dies von sich aus lösen können und wir müssen uns darauf vorbereiten, mit den Gewählten zusammen zu arbeiten. Am 6. Oktober wählen wir das föderale Parlament, das des Staates, den Senat, den Gouverneur und den Präsidenten der Republik. Die Politik allein ist nichts Wert, wenn sie nicht dazu dienen wird, auf die prinzipielle Herausforderung Antwort zu geben, welche wir anzugehen haben: Dem Hunger und der Not von 50 Millionen Brasilianern muss ein Ende gesetzt werden; Brasilien muss zu einem Land werden, wo das ganze Volk unter menschenwürdigen Bedingungen leben kann. Deshalb ist eine wirkliche Landreform dringend notwendig.

Die zweite Priorität ist mit der ersten verbunden: Allen müssen die Menschenrechte garantiert werden. Deshalb müssen die öffentlichen Ressourcen dazu verwendet werden, die Grundbedürfnisse wie Gesundheit, Ausbildung, Transport, Sicherheit etc. zu gewährleisten. Die dritte Priorität ist mit dem Projekt einer verträglichen Entwicklung verbunden, damit Mutter Natur respektiert und gerettet wird und die Fähigkeiten des Volkes ihre Wertschätzung finden, indem allen Gelegenheit zur Arbeit gegeben wird. Das ist der Weg, damit das Volk das Subjekt seiner eigenen Geschichte und seiner Zukunft werden wird. Es ist Zeit die Hoffnung wiederzuwecken und schließlich die größte Schlacht zu gewinnen: Elend und Hunger zu besiegen und das traurige Primat des Vizeweltmeisters der sozialen Ungerechtigkeit zu überwinden.

In diesem Augenblick brasilianischer Geschichte ist es wichtig, dass sich die ganze Gesellschaft um die nationalen Ideale organisiert. Unser Manifest entstand in der Zusammenarbeit mit allen Massenbewegungen, die sich in der Consulta Popular zusammenschlossen haben und bezieht sich auf ein Volk, welches von einem einzigen Vaterland mit einem Nationalgefühl träumt. Wir sind müde, weil wir uns wegen unseres Rufes schämen, ein Land ohne Ernsthaftigkeit zu sein, ein Land zu sein, das nicht wirklich frei und unabhängig ist.

Wir wollen, dass unsere Jugend in ihren Herzen die Hoffnung derjenigen trägt, die in das Recht auf Bildung als ein Instrument zur Erreichung der vollen Staatsbürgerschaft, Vertrauen setzen. Dies bedeutet eine Hoffnung, welche die müden kleinen Augen der Kinder wieder erleuchten lässt, die auf der Straße betteln, um zu überleben. Es ist eine Hoffnung, welche auch die Alten wieder beleben kann.

Wenn nicht neue Arbeitsplätze erschlossen werden, wird es bald kein Geld mehr geben, um die Renten zu bezahlen. Jedes Jahr versuchen 2 Millionen Jugendliche ihre ersten Arbeitsplatz zu erhalten und ihren Beitrag zu den sozialen Versicherungssystemen zu leisten.

Wir brauchen ein wiedergereinigtes Brasilien, welches all diejenigen, die öffentliche institutionelle, staatliche und munizipale Ressourcen stehlen als gewöhnliche Diebe bestraft - was sie auch sind. Unsere Kinder können mit der Straflosigkeit nicht überleben, mit diesen täglich aufs neue sich ankündigenden schlechten Beispielen. Sie können nicht überleben mit der Straflosigkeit derjenigen, welche die Resoourcen des Staates verschwenden aus persönlichen Interessen. Sie verlieren ihr Vertrauen in die Justiz und in eine ohnehin schon unsichere Zukunft, die sich in diesem allgemeinen Rahmen abzeichnet.

Der neoliberale Kapitalismus vergisst, dass ein junges Land wie Brasilien, den ökonomischen Interessen der Mächtigen nicht die Türen öffnen darf. Aber auch nicht wegen der Privatisierungen, die das Land überschwemmen. Die informale Ökonomie wird verstärkt, welche nur die Länder interessiert, die unsere Grenzen überschreiten, weil das Land eine schlechte fiskalische Struktur besitzt. Die Regierenden, die jetzt Brasilien „beherrschen“ verfolgen eine disaströse Politik, welche die Mehrheit strukturell ausschließt und in den Abgrund der Gewalt, der Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und Korruption stößt.

Brasilien braucht die Männer, Frauen, Jugendlichen und Kinder, all die, welche ihre erworbene Erfahrung mit Harnäckigkeit und Eifer weitergeben können. Es ist eine Erfahrung, die in den schwieligen Händen der landlosen Bauern von SEM-Terra liegt und in der Weisheit der Indigenos. Wir glauben, dass es möglich ist, die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Es müssen Investitionen im Eisenbahn-, Wasserenergie-, Agrar- und Technologiesektor erfolgen, die auf die Anforderungen der Erde und der Mutter Natur abgestimmt sind. Sie wurde uns von Gott gegeben, um sie gemeinsam zu verwalten, nicht aber, um sie zum Nutzen einiger Weniger zu zerstören.

Wir sind der Überzeugung, dass Brasilien die Kornkammer der Erde ist. Seine Naturreichtümer können Millionen Dollar erbringen, welche von den Touristen eines verträglichen Tourismus ins Land gebracht werden. Beide Sektoren erzeugen direkte und indirekte Beschäftigung. Wir sind für nationale Lösungen, welche auf ökonomisches Wachstum abzielen und für eine Löschung der Schulden, die wir schon mehrere Male bezahlt haben. Wir müssen den verlorenen Respekt wiedergewinnen, den wir aufgrund der Interessen einer kleinen Elite verloren haben, die unendich viel reicher ist als die übergroße Mehrheit der Brasilianer.

Wir brauchen ein Brasilien, in dem es keine Kindersterblichkeit, keine Analphabeten, kein Wahlstimmenkauf, keine Mafia und organisierte Kriminalität, keine institutionelle Korruption, keinen Schmuggel und Drogenhandel mehr gibt. Wir brauchen ein Brasilien, in dem die Hoffnung auf Arbeit und eine gerechte Entlohnung auf die Angebote der Kriminalität anworten kann. Diese ist heute dank der Kompromisse mit der öffentlichen Gewalt besser denn je organisiert. Wir hoffen bald nichts mehr von einer Parallelmacht hören zu müssen, welche die Möglichkeiten der Zivilorganisationen beschränkt. Wir brauchen ein Brasilien, in dem Investionen in die öffentlichen Sektoren, wie Bildung, Gesundheit, Transport etc., nicht mehr von den Milliardenivestitionen in demagogische politische Kampagnen abhängen. Wir brauchen ein Brasilien, das von den Brasilianern und nicht von den ausländischen Multis oder dem Weltwährungsfond regiert wird.

Wir wollen ein Land, das die vielen Kulturen seiner Arbeiter anerkennt, welche von allen Teilen der Erde zu uns kamen. Wir werden oft bewundert wegen der Brüderlichkeit in unseren Gemeinden, in denen sich das Blut der Immigranten mit dem der nativen Einwohner vermischt hat. Die Welt erwartet wesentlich mehr von Brasilien als die augenblicklichen Aktionen der gegenwärtigen Regierung zeigen, die sich den nordamerikanischen Interessen unterordnet.

Die Welt erwartet von Brasilien eine Antwort, die aus dem Herzen der Massenbewegungen, von der Basis der Zivilgesellschaft kommt. Diese Zivilgesellschaft ist müde von den harten Kämpfen, die unter der Militärdiktatur begonnen wurden aber auch voller Hoffnung in eine wirkliche Änderung. Sie ist es wegen der gesammelten Erfahrungen, die eine Bilanz an aktiver Mitarbeit in vielen Städten ausweisen. Brasilien hofft, dass ein jeder die staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt und auf sein Gewissen hört, ohne wegen einem Paar Schuhe oder einem Hemd gekauft worden zu sein (eine unter dem Obristeregime gängige Praxis).

Wir entdecken unseren Stolz und unsere tausendjährige Kultur wieder. Dies tun wir am 7. September, am Tag der Unabhängigkeit, wo wir den Schrei der Ausgeschlossenen zelebrieren: volle Staatsbürgerschaft für alle, frei von der Unterdrückung durch die Auslandsschulden, frei von der Sklaverei auf den Latifundien, frei von der ALCA.

Am kommenden 6. Oktober können wir die solange erträumte nationale Souveränität wieder erobern. Das bedeutet die wirkliche politische, ökonomische und soziale Unabhängigkeit, welche den Reichtum eines Brasiliens wieder erkennt, der das Erbe eines farbigen Vaterlandes ist. Das trägt die Farben der Landlosen, der Minenarbeiter, der Indigenos, der Slumbewohner, der marginaliserten Frauen, der afrikanischen Abstammung. Es trägt die Farbe des Blutes unserer Märtyrer Margarida Alves, Josimo Tavares, Zumbi, Chico Mendes und wird erfüllt von den Prophezeiungen unserer Propheten Don Helder Camara und Betinho.

Wir in der pastoralen Kommision für Boden, CPT, kämpfen auf nationaler Ebene für eine Agrarreform und gegen die Gewalt auf den Ländereien. Deshalb erkennen wir voller Freude, dass das Projekt der Arbeiterklasse gewinnen kann. Dies bedeutet ein historischer Augenblick, ein Zeichen der Zeit für das Neue, das in unserem Land voranschreitet, Es sind Zeichen, die unter vielen Gesichtspunkten in den Reflektionen und Aktionen all derer auftauchen, die für Gerechtigkeit kämpfen.

Das erste Zeichen ist das bedeutende organisatorische Wachstum des brasilianischen Volkes innerhalb unzähliger Massenorganisationen auf dem Lande und in der Stadt, in den „Quilombos“ und den metropolitanen Gebieten, von Frauen und von den Indios. Brasilien ist im Aufbruch!

Das zweite Zeichen ist der Konsens und das Einverständnis der Mehrheit dieser Massenorganisationen mit der Perspektive, Lula an die Präsidentschaft der Republik zu führen. Es ist das Volk, welches Lula unterstützt. Dieses Volk ist sich bewusst, dass Lula nicht der Retter des Vaterlandes ist. Es begreift aber, dass Lula ein Werkzeug darstellt, das unseren Traum nach einem gerechten und souveränen Land realisieren kann. Das ist eine neue Relation innerhalb der organisierten Massen, welche ihn als Compagno (Genossen) betrachten, der sich mit ihnen von Geburt her, aber v.a. aus eigenem Entschluss identifiziert. Lula ist ein aufrichtiger, fähiger und solidarischer Genosse, der als Promotor eines Wechsels innerhalb des Staatsapparates angesehen wird, der den Staats zu einem notwendigen Instrument im Dienste des Volkes transformiert.

Das bedeutet ohne Zweifel ein große Herausforderung, es bedeutet die Eroberung eines Staates, der von den mächtigen Eliten des Landes schon in der Geschichte privatisiert wurde: Angefangen bei dem kolonialisierten Brasilien bis zu einem Staat, der auf dem internationalen Markt zum Verkauf angeboten wird. Es ist ein Staat der seine eigenen Reichtümer in Amazonien verschleudert, der mit Gewalt die Massenopposition unterdrückt, der die Leader von Sem-Terra, der Indios, der Menschenrechtsorganisationen kriminalisiert. Er unterdrückt all diejenigen, die sich gegen die Ambitionen derer auflehnen, welche die ganze Welt beherrschen und die Massenbewegungen in ganz Lateinamerika, in Bolivien, Guatemala, Venezuale und Cuba zum Schweigen bringen wollen.

Wir von der pastoralen Kommision für Boden CPT meinen, dass Lula ein Projekt repräsentiert, das ein Brasilien konstruieren wird, wie wir es wollen. Er ist das Werkzeug, um die armen und ausgebeuteten Massen unseres Landes zu verteidigen. Lula ist der Stern unserer Hoffnung, die von unten gewachsen ist mit diesen neuen Zeichen der Zeit. 1.Oktober 2002

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