Brasilien feiert »Lula«

Von Timo Berger

Die Präsidentschaftswahlen in Brasilien verzeichnen dieses Jahr eine dreifache Premiere: Zum ersten Mal in der brasilianischen Geschichte gewann ein Kandidat der Linken, zum ersten Mal ein Arbeiter, zum ersten Mal ein Mann ohne Universitätsabschluß. Luiz Inácio da Silva, genannt »Lula«, von der PT (Partido dos Trabalhadores – Arbeiterpartei) erzielte bei den Wahlen am Sonntag das sensationelle Ergebnis von 61,3 Prozent, das höchste, das je ein Präsident in Brasilien seit der Ausrufung der Republik vor 113 Jahren erreicht hat. Ein schöneres Geschenk hätte sich »Lula« an seinem 57. Geburtstag selbst nicht machen können.

José Serra von den bisher regierenden Sozialdemokraten (PSDB) kam auf 38,7 Prozent der gültigen Stimmen. Hunderttausende Brasilianer feierten in der Nacht zum Montag mit Freudengesängen und Tänzen den Sieg ihres Favoriten. Für den heutigen Dienstag ist bereits ein erstes Treffen mit dem am 31. Dezember aus dem Amt scheidenden Präsidenten Fernando Henrique Cardoso geplant, um den Amtswechsel vorzubereiten. Auch wird erwartet, daß »Lula« heute sein 55köpfgiges Übergangsteam vorstellt.

Der aus dem armen Bundesstaat Pernambuco stammende »Lula« zeigte sich am späten Sonntag abend (Ortszeit) nach Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses hochzufrieden. In einem ersten Interview erklärte er, der Wahlausgang hätte gezeigt, daß sich Brasilien verändere: Die Hoffnung hätte die Angst besiegt. Damit hatte es der gelernte Schlosser und ehemalige Metallgewerkschafter in seinem vierten Anlauf endlich geschafft. Nach 1989, als er gegen den später seines Amts enthobenen Fernando Collar de Mello im zweiten Wahlgang unterlag, und 1994 und 1998, als er bereits im ersten Durchgang an Fernando Henrique Cardoso scheiterte, ist ihm jetzt der Einzug in den Planalto-Palast in der Bundeshauptstadt Brasilia sicher.

In São Paulo empfingen nach Polizeiangaben um die 100000 Menschen ihren neuen Präsidenten mit einem Festakt auf der abgesperrten, zentral gelegenen Avenida Paulista. Nachdem sie »Lula« ein Geburtstagsständchen gesungen hatten, hielt dieser eine kurze Ansprache, in der er sich überschwenglich bei seinen Wählern und Unterstützern bedankte. Der jetzt stattfindende demokratische Übergang – erst der zweite in der Geschichte des Landes – zeuge von der Konsolidierung der brasilianischen Demokratie. »Lula« rief alle Menschen auf, mit ihm und seinem Regierungsteam ein »gerechteres, brüderlicheres und solidarischeres Land« aufzubauen.

Erstmalig bekannten sich auch weite Kreise der Mittelschicht zu dem Sozialisten. Nachdem sie in den vergangenen acht Jahren von dem promovierten Sozialwissenschaftler Cardoso enttäuscht worden waren, setzten sie nun auf den strahlenden und souverän wirkenden »Lula«, der sein altes Image als »ideologischer Lula« schon vor dem Wahlkampf abgelegt und durch das Bündnis mit dem rechten Unternehmer und künftigen Vizepräsidenten José Alcenar Gomes da Silva (PL) seine Bereitschaft demonstriert hatte, seine künftige Regierung auf einem großen gesellschaftlichen Konsens aufzubauen. Nur der Fußball-Star Pelé wollte, befragt gleich nach der Stimmabgabe, anders als in vorherigen Jahren, nicht verraten, für wen er diesmal gestimmt hatte.

Zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen fanden auch die Stichwahlen um die Gouverneursposten in 14 von 26 Bundesstaaten statt. Die Kandidaten der PT konnte sich nur im Bundesdistrikt und in Mato Grosso do Sul gegen ihre Gegner durchsetzen. Im bevölkerungsreichen Bundesstaat São Paulo verlor PT-Kandidat José Genoíno gegen den Regierungskandidaten Geraldo Alckmin.

Bereits im ersten Wahlgang konnte die PT im Senat die Anzahl ihrer Sitze auf 17 Prozent erhöhen. Auch im Kongreß konnte die Arbeiterpartei die Zahl ihrer Mandate noch steigern. Dort ist die PT mit 17,7 Prozent der 513 Sitze stärkste Fraktion. Zusammen mit den Verbündeten aus der »Koalition für Lula« kommt die PT damit auf knapp 25 Prozent der Sitze. Doch selbst wenn man diejenigen Parteien dazu rechnet, die »Lula« im zweiten Wahlgang unterstützt hatten, kommt er auf keine absolute Mehrheit im Kongreß. »Lula« muß deshalb auch auf die gerade abgewählte Opposition zugehen. Vielleicht wird er sogar die Partei seines Gegenkandidaten PSDB mit in die Regierung einbinden. (Aus Jungle World)

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