"Ich bin ein krasser Optimist"
Interview mit Neco Çelik
von Martina Priessner
Wie kam es zu Urban Guerillas?

Die Geschichte ist ganz einfach. Ich komme selber aus der HipHop Kultur und es war immer mein Traum über das Leben und die Straßenkultur eine Story zu erzählen. Die Quelle für den Film ist auch meine Arbeit mit den Jugendlichen. Ich habe oft

erlebt, dass Jugendliche keinen Bock mehr auf Schlägereien usw. haben und stattdessen anfangen sich mit der Kunst des rappen und Breakdance zu beschäftigen. Anstatt irgendwo nach Geschichten zu suchen, hab ich mich von den Leuten vor meiner Haustür inspirieren lassen.

Ist es eine autobiographische Geschichte?

Nein, es sind eher Sachen, die ich in der Szene beobachtet habe und die mich beschäftigen. Natürlich gibt es auch Parallelen. Ich war damals in erster Linie Graffiti-Künstler, aber die Gangsternummer und HipHop liegen ja sehr nahe beieinander. Manche entscheiden sich für Graffiti, andere für Schlägereien und hoffen, damit den Mädels zu imponieren. Ich hatte mein Graffiti und das mochte ich.

Warum bist du ausgestiegen?

Ich hab dann andere Dinge entdeckt, die mir wichtiger waren und das war Film.

Du erzählst die Geschichte von Kaspar und Danger. Kaspar hält Danger für einen Jungen und Danger hat zunächst auch kein Interesse das Missverständnis aufzuklären, aus Angst die Freundschaft zu gefährden. Wie ist dir die Idee dazu gekommen?

Ich habe in der Szene beobachtet, dass Mädchen alles mögliche machen um von den Jungs anerkannt zu werden. Sie versuchen wie Jungs zu sprechen und sich so zu verhalten, sich wie Jungs anziehen und versuchen möglichst tough rüberzukommen. Irgendwann verschwinden dann die Grenzen. Das ist irre war für mich extrem schockierend.

Aber Urban Guerillas zeigt dass Freundschaft trotzdem möglich ist!

Ich habe für den Film meine Beobachtung nicht 1:1 übernommen. Danger zieht sich nicht an wie ein Junge oder verhält sich nicht wie ein Junge um bei den anderen anzukommen. Sie ist einfach so. Aber als sie Kaspar kennen lernt und merkt dass sie sich gut verstehen und er sie für einen Jungen hält, hat sie Angst die Wahrheit zu sagen. Es geht ihr um die Freundschaft. Sie hat Angst zu kaputt zu machen. Es ist nicht strategisch von ihr. Als der Typ sagt „lass uns mal ein paar Bräute klarmachen“, da geht sie einfach darüber hinweg. Aber dann häufen sich die schwierigen Situationen. Aber ich wollte es nicht so sehr als Problem darstellen. Es ist einfach so wie es ist. Das Missverständnis wird dann ja auch gelöst ohne dass es groß problematisiert wird. Kaspar ist natürlich wütend, angeschissen, ein bisschen sauer. Aber das Leben geht weiter, das sieht man ja.

Wie hast du deine Figuren entwickelt? Gab es ein fertiges Drehbuch?

Ich hatte die Stories episodenhaft aufgeschrieben und die Elemente wie Breakdance, DJing, Rappen, Graffiti, alles was zur HipHop Kultur gehört war schon vorhanden. Die Dialoge waren nur ansatzweise vorhanden. Ich hab das dann den Schauspielern in die Hand gedrückt und gesagt, den Rest müsst ihr euch überlegen. Sie haben sich sehr schnell rein gefunden. Es war ihr Ding und die Locations ihre Orte.


Wie habt ihr die Orte ausgewählt?

Die Orte kannten wir alle aus unserer Graffiti Zeit und außerdem konnten wir keine großen Entfernungen zurücklegen. 15 Leute, die von A nach B müssen und


kein Auto haben. Also musste das alles in einem Radius von 1000 Meter stattfinden. Ich hatte manche Orte zwar schon vorher im Kopf, aber unterwegs haben wir uns oft spontan entschieden hier und da zu drehen. Außerdem hatten wir einen grandiosen Kameramann, der großartiges geleistet hat, mit einer DV-Kamera Kinobilder zu machen.

Haben die SchauspielerInnen Erwartungen an den Film geknüpft?

Auf keinen Fall. Es war ein Freundschaftsdienst. Wir tun Neco einen Gefallen. Niemand hat damit gerechnet, dass der Film mal ins Kino kommen würde. Die hatten das schon fast wieder vergessen, dass es da mal einen Dreh gab. Aber auch während des Drehens war die Stimmung so. Hey Neco, sag uns mal schnell was noch zu machen ist, wir müssen nach Hause oder ich hab noch anderes zu erledigen. Ok, mach mal schnell, von rechts nach links und dann tschüß…es war wirklich schräg. Das hab ich dann an den Reaktionen bei der Teampremiere deutlich gespürt, „oh, wenn wir das gewusst hätten, hätten wir uns mehr Mühe gegeben“.
Der Film lag dann ja auch lange herum. Wir hatten kein Geld für die Postproduktion. Dann kam „Alltag“, wir verdienten ein bisschen Geld und dann konnte es weiter gehen.

Der Film lief jetzt auf der Berlinale in der Reihe „German Cinema“ – hast du damit gerechnet?

Ich bin ein krasser Optimist. Ich denke ich werde damit noch in Cannes landen (lacht!). Ich denke Urban Guerillas ist ein süßer, charmanter Film, der ein Berlin zeigt, das die Leute so noch nicht gesehen haben. Der Film sollte eigentlich in der Sektion „Deutsche Perspektive“ laufen, aber sie haben uns damit getröstet, dass er hier besser aufgehoben wäre und wir ihn eher verkaufen. Keine Ahnung, ob sie uns reingelegt haben (lacht). Einen Verleih für Deutschland haben wir ja schon. Es läuft wirklich optimal. Und einen Publikumspreis haben wir auch schon gewonnen.

Was ist dein Verhältnis zu Alltag und Urban Guerillas im Vergleich – sind ja zwei sehr unterschiedliche Filme?

In der Machart sehr unterschiedlich. Ich weiß nicht, ob man einen Stil erkennt. Ich mach einfach, was ich auf dem Herzen habe und lass mich nicht in eine Schublade stecken. Es gab ambivalente Reaktionen auf die Filme. Vielen hat Urban Guerillas besser gefallen. Alltag ist streng organisiert abgelaufen, es gab wenig Freiraum während beim Dreh von Urban Guerillas Anarchie geherrscht hat. Vielleicht macht das den Charme aus. Das ist in Deutschland sehr komisch. Wo anders wird Urban Guerillas nicht beachtet, weil es als Amateurarbeit betrachtet wird, weil die Kamera wackelt und die Schauspieler angeblich nicht gut sind und in Alltag ist es dann professionell und Hochglanz und das wird dann mehr honoriert. Ich mag genau die Mitte und da werde ich beim nächsten Projekt auch ansetzen.

Worum wird es gehen?

Um Straßenfußball. Fußballspieler, die ihr Talent auf irgendwelchen Bolzplätzen vergeuden, weil sie nicht tun möchten, was die Väter entscheiden. Viele Väter entscheiden, wo die Söhne spielen, dass sie in der Türkei spielen zum Beispiel und sie nicht in die deutsche Nationalmannschaft kommen. Ihre Karriere immer bis zu einem bestimmten Punkt geht und dann verlieren sie alles, spielen nur noch auf diesen Plätzen, vergeuden ihr Talent...Eben so ein Sportlerdrama möchte ich erzählen.

Im Forum der Berlinale lief noch ein anderer HipHop Film „Status Yo!“ Hier treffen Skinheads auf die HipHop Szene. Die Rappen schaffen es, sich mit Hilfe von Breakdance und HipHop zu wehren und die Skins zu besiegen. Kannst du damit was anfangen bzw. kennst du diese Erfahrung vielleicht sogar?

Man kann nicht sagen, dass HipHop per se politisch ist. Ich halte es eher für was unpolitisches. Natürlich gibt es vereinzelt Jugendliche, die damit auch versuchen politische Inhalte rüberzubringen. Aber das, was diese Kultur ausmacht ist vor allem die Musik, das Lebensgefühl. Das war vielleicht früher mal anders, aber heute begeistern sich Kids in allen Schichten für HipHop. Das rebellische Aufbegehren der Underdogs, das war es vielleicht in den Anfängen mal, heute ist es ein Mythos.

Spielt die rechte Jugendkultur hier in Berlin in der HipHop Szene eine Rolle und hast du Veränderungen nach dem Mauerfall wahrgenommen?

Bei uns gab es nie Begegnungen mit rechten Jugendlichen. Wir haben die natürlich auch nicht gesucht. Mag sein, dass das in anderen Bezirken eine größere Rolle gespielt hat. Die waren in ihrem Revier wir in unserem, da hat auch der Mauerfall nichts daran geändert.

Gegen die Wand von Fatih Akin hat gerade den Goldenen Bären gewonnen. Ändert das deiner Meinung nach etwas an der Wahrnehmung, am Schubladendenken?

Schubladen gibt es nach wie vor. Wir sind türkischstämmige Regisseure und wir sollen am besten was über Türken machen. Das ist ihnen am liebsten. Wenn in Filmen Ethnie, Kultur und Herkunft keine Rolle mehr für die Geschichte spielt wie in Alltag und Urban Guerillas, dann löst das Irritation aus. Damit muss man jetzt aber rechnen. Es werden auch andere Geschichten erzählt werden und die Erwartungen von manchen enttäuscht werden.

Synopsis des Films:

Danger und Kasper haben dasselbe Problem. Beide sind aus ihren Graffiti-crews rausgeflogen. Sie begegnen sich und beschließen gemeinsam ein Graffiti-Projekt zu Ehren eines verstorbenen Sprühers anzugehen. Danger merkt schnell, dass Kasper sie für einen Jungen hält. Aber sie klärt den Irrtum nicht auf.

B-Boy Bülent liebt das Break-Dancen, aber seine Verlobte Pepsi möchte lieber, dass er sich um die gemeinsame Hochzeit und um ihr geliebtes Brautkleid kümmert. Pepsi stellt ihm ein Ultimatum: Break-Dance oder sie.

Ozan hat mit Madlen das Musiklabel „Toon Records“ gegründet. Ozan verspricht Madlen, unentdeckte Rapper unter Vertrag zu nehmen und mit ihnen Aufnahmen zu machen. Der Besuch bei den Rappern, die in einem Keller „chillen“, scheitert. Da hat Madlen eine geniale Idee. Sie will eine Hausparty schmeißen, um die Jungs aus dem Keller herauszulocken. Sie beginnen in der Szene Flyer zu verteilen.

So werden alle Hauptfiguren auf der Hausparty von Madlen und Ozan zum ‚Grande Finale’ zusammengeführt.

Neco Çelik

Der 32-jährige ist nicht nur Filmemacher sondern arbeitet als Sozialpädagoge in der Naunynritze, einem Jugendzentrum in Berlin-Kreuzberg. Von 1987 bis 1992 war er als Graffiti Sprayer unterwegs und Mitglied der Jugendgang 36.

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